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matiker. »Die PT hat sich nie zu einer marxistischen Partei erklärt«, verkündete
Lula während des Wahlkampfs 1989 in einer landesweit übertragenen Fernseh-
diskussion. Es war das erste Mal, dass er für das Präsidentenamt kandidierte.
Dennoch wirkte der bärtige Gewerkschaftsführer auf das politische Establis-
hment wie der Beelzebub persönlich. Die Elite fürchtete, dass Brasilien unter
seiner Herrschaft dem sozialistischen Kuba nacheifern würde. Allerdings ver-
fügte sie über keinen Kandidaten, der es mit dem Charisma und den Argumen-
ten des redegewandten Lula aufnehmen konnte. Das Debakel der Regierung
Sarney, der in jeder Hinsicht Brasiliens alte Herrschaftselite verkörperte, hatte
die gesamte politische Klasse diskreditiert.
Wenige Monate vor den Wahlen im Oktober 1990 deuteten die meisten Um-
fragen einen Sieg Lulas an. Verzweifelt suchte die Herrschaftselite nach einem
Repräsentanten, der das Potential hatte, den Aufstieg des Linken zu stoppen.
Sie fand ihn ausgerechnet in Alagoas, dem ärmsten und rückständigsten Bun-
desstaat Brasiliens. Gouverneur Fernando Collor de Mello war vierzig Jahre
jung, sah gut aus und konnte reden. Seine Frau Rosane entstammte einem
alteingesessenen Familienclan, der mit eiserner Hand über Alagoas herrschte,
ähnlich wie die Sarney-Sippe in Maranhão.
Diese Herkunft galt als Collors einziger Makel: Im Süden und Südosten des
Landes, wo die meisten Wähler wohnen, stehen Politiker aus dem armen Nord-
osten im Ruf, besonders korrupt und rückständig zu sein. Außerdem war Collor
außerhalb von Alagoas so gut wie unbekannt.
Aber der Kandidat verfügte über gewiefte Marketingexperten. Sie verpassten
dem Provinzpolitiker ein neues Image als unbestechlicher Mann des Fort-
schritts, der mächtige Medienkonzern Globo sekundierte. Globo-Chef Roberto
Marinho fürchtete einen Sieg Lulas besonders: Die PT hatte mehrfach angekün-
digt, dass sie die Macht des Fernsehsenders beschneiden wollte. Die Militärs
hatten Marinho während der Diktatur mit Sendelizenzen bevorzugt, er baute
ein Netz an regionalen Partnerfirmen auf. So stellte er sicher, dass die Novelas
und die einflussreichen Abendnachrichten »Jornal Nacional« noch im letzten
Winkel des Riesenlandes zu empfangen waren.
Vor allem mit seinen beliebten Fernsehnovelas hatte der Sender praktisch
ein Monopol errichtet. Diese Vorherrschaft versetzte Globo zeitweise in die Rol-
le des Königmachers: Gegen Marinho, der von seinen Angestellten nur halb im
Scherz »Gott« genannt wurde, war eine Wahl kaum zu gewinnen.
Marinho setzte seine gesamte Medienmacht für Collor und gegen Lula ein.
Über Collor wurde mehr und freundlicher berichtet als über Lula, er wurde bes-
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