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Karriere, später wurde sie im Bundesstaat Rio Grande do Sul Bergbauministe-
rin, dann holte Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva sie als Energieministerin in
sein Kabinett. Im Oktober 2010 wurde sie zur ersten Präsidentin Brasiliens ge-
wählt.
Zu Rousseffs Amtseinführung am 1. Januar 2011 lud sie 17 ihrer einstigen
Mithäftlinge nach Brasília ein. Die Frauen umarmten sich, stießen mit Cham-
pagner an, Tränen flossen. »Es war, als wären wir nie getrennt gewesen«, sagte
mir ihre Freundin Cida Costa. Auch Rousseffs alter Kampfgefährte Jorge Durão
war bei dem Treffen dabei. »Wagen heißt siegen«, flüsterte er ihr ins Ohr, als sie
ihn umarmte. Die Präsidentin wiederholte leise jedes Wort - es war ihr Kampf-
motto bei der Guerilla.
Viele der damaligen Folterer machten Karriere in Armee oder Politik, keiner
wurde gerichtlich belangt. Insgesamt 400 Regimegegner ließen die Militärs
während der Diktatur »verschwinden«, weitaus weniger als in Argentinien oder
Chile, wo Tausende ermordet wurden. Doch anders als in den Nachbarstaaten
wurden die Verantwortlichen für die Gräueltaten in Brasilien nie belangt: 1979
sprach die Militärregierung alle »Beschuldigten politischer oder damit verbun-
dener Verbrechen« frei. Keine demokratisch gewählte Regierung hat es bislang
gewagt, diese Amnestie in Frage zu stellen, auch Rousseff nicht. Nur die Ange-
hörigen der Opfer verlangten über all die Jahre hinweg, die Schuldigen zu be-
strafen. Ende 2010 verbuchten sie ihren bislang größten Erfolg: Der Interame-
rikanische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Brasilien wegen der Ver-
schleppung und Ermordung von 62 Regimegegnern und forderte, die Verant-
wortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Überall im Land lässt die Regierung jetzt nach den Überresten der Ver-
schwundenen suchen. Anthropologen öffneten im Februar 2011 ein anonymes
Massengrab in São Paulo. Ich begleitete im Oktober 2012 eine Gruppe von Ge-
richtsmedizinern am Rio Araguaia bei der Exhumierung mehrerer mutmaß-
licher Ex-Guerrilleros. Eine Gruppe junger Staatsanwälte bemüht sich, juris-
tische Schlupflöcher zu finden, um die Verantwortlichen trotz der Amnestie
vor Gericht zu bringen. 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats
Pará erstmals ein Verfahren wegen Entführung gegen Ex-Militär Curió und
einen seiner Helfershelfer. Solange die Verschwundenen nicht auftauchen, gel-
ten diese Verbrechen nach Interpretation der Staatsanwälte als Entführungen
und sind nicht abgeschlossen. Mit Hilfe dieser juristischen Konstruktion lassen
sich die Verantwortlichen trotz der Amnestie zur Rechenschaft ziehen, hoffen
Menschenrechtler und Juristen. Allerdings werden die Prozesse immer wieder
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