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Während Curió die Guerilla im Urwald jagte, richtete die Regierung in den
großen Städten des Landes Folterstätten ein, in denen gefangene Regimegegner
oft monatelang gequält wurden. In Petrópolis, der alten Kaiserstadt in den Ber-
gen bei Rio de Janeiro, vermietete ein deutscher Einwanderer sein Haus an die
Folterknechte der Militärs; dort wurden mehrere Regimegegner zu Tode gequält.
Heute ist das »Haus des Todes«, wie der Fachwerkbau genannt wird, ein Mahn-
mal für die Opfer der Diktatur.
In São Paulo stellte die politische Polizei DOPS den Aufständischen nach, eine
direkte Nachfolgeorganisation der Ordnungspolizei DEOPS der Vargas-Dikta-
tur, die von Filinto Müller geleitet wurde. Die meisten Gefangenen wurden im
Gefängnis Tiradentes inhaftiert, einer riesigen Anlage mitten in der Stadt. Dort
wurde im Februar 1970 in Zelle 6 eine junge Frau eingeliefert: Dilma Rousseff.
Auf dem Weg zu einem konspirativen Treff in São Paulo hatten Häscher des Re-
gimes sie gefangen genommen. Jetzt kam sie direkt von der »Oban«, der »Ope-
ração Bandeirantes«, dem berüchtigten Folterzentrum der Stadt.
Sie sprach nicht über die Qualen, die sie durchgemacht hatte. Das war auch
nicht nötig, ihre Mithäftlinge hatten die Foltermethoden der Diktatur am eige-
nen Leib erlebt. Sie alle hatten an der »Papageienschaukel« gehangen. So nann-
ten sie die Eisenstange, an der die Opfer wie ein Stück Fleisch stundenlang nackt
aufgehängt und dann verprügelt wurden. Viele hatten auch auf dem »Drachen-
stuhl« gelitten; wer auf ihm saß, bekam Elektrokabel an Brustwarzen und Ge-
bärmutter angeschlossen.
»Dilma war abgemagert und körperlich mitgenommen, aber ihr Wille war un-
gebrochen«, erinnerte sich Cida Costa, die Rousseff in der Zelle empfing, Ende
2010 während eines Interviews, das ich mit ihr in São Paulo führte. Die beiden
Frauen freundeten sich an. Drei Jahre lang saßen sie gemeinsam im »Minnen-
turm«: So nannten sie den runden, mehrstöckigen Bau, in dem die etwa 50 weib-
lichen politischen Gefangenen untergebracht waren. »Wir waren eine verschwo-
rene Gemeinschaft«, sagte Costa.
Gefoltert wurde außerhalb des Gefängnisses, bei der Oban oder im Sitz der
DOPS. Wenn jemand zur Folter abgeholt wurde, schlugen die Frauen mit ihren
Blechtellern gegen die Gefängnisgitter. Wurde dagegen jemand entlassen, san-
gen sie das Lied »Do Mar« von Dorival Cayimmi, eine Hymne an das Meer. So
wussten die Häftlinge in den anderen Zellen Bescheid.
Im Dezember 1972 wurde Rousseff entlassen, kurz darauf auch ihre Freundin.
Costa wurde Staatsanwältin in São Paulo, Rousseff ging in den Süden nach Porto
Alegre. Nach dem Ende der Diktatur machte sie dort als Verwaltungsexpertin
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