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Auf die dunklen, von Intrigen gezeichneten Jahre der zweiten Vargas-Regie-
rung folgte ein Präsident, der in vielerlei Hinsicht sein Gegenbild verkörperte:
Bei den Wahlen 1955 siegte der Arzt Juscelino Kubitschek, ein Sohn tschechi-
scher Einwanderer aus Minas Gerais, der es zum Bürgermeister von Belo Hori-
zonte und Gouverneur seines Heimatstaats gebracht hatte.
Kubitschek war ein charmanter Lebemann, seine Amtszeit war von wirt-
schaftlichem Aufschwung, Optimismus und politischer Stabilität gekennzeich-
net. Er läutete die »Anos dourados« ein, die »Goldenen Jahre« des Bossa Nova,
der Niemeyer-Bauten und der politischen Öffnung. Brasilien gewann neues
Selbstvertrauen als aufstrebende Großmacht. Kubitschek verbesserte das Ver-
hältnis zu den USA und stärkte Brasiliens Rolle in regionalen und internationa-
len Organisationen.
Er förderte den Aufbau einer eigenen Automobilindustrie; ein berühmtes Fo-
to zeigt ihn bei der Einweihung des Volkswagenwerks in São Paulo am Steuer
eines VW Käfers. Er ließ zahlreiche neue Straßen bauen und trieb so die Inte-
gration des riesigen Landes voran. Im Jahr 1958 wurde Brasilien zum ersten
Mal Fußballweltmeister, das Land explodierte vor Optimismus. Vor allem aber
ist Kubitscheks Name untrennbar mit dem Bau der neuen Hauptstadt Brasília
verbunden.
Die Verlegung der Hauptstadt ins Landesinnere war in allen Verfassungen
seit 1891 festgeschrieben, aber die früheren Regierungen waren vor der pha-
raonischen Aufgabe zurückgeschreckt. Kubitschek beauftragte den Städtepla-
ner Lúcio Costa und den kommunistischen Architekten Oscar Niemeyer mit
dem Projekt. Im Februar 1957 war Spatenstich. Nur drei Jahre später, am 21.
April 1960, eröffnete der Präsident die neue Hauptstadt, mehrere Monate frü-
her als geplant. Es war vermutlich das einzige Mal in der brasilianischen Ge-
schichte, dass ein staatliches Mammutprojekt vor Ablauf der Frist fertig wurde
- in der Regel verspäten sich alle Bauten um Monate oder Jahre.
Unter Kubitschek blühte allerdings auch ein altes brasilianisches Übel auf:
die Korruption. Beim Bau der neuen Hauptstadt sollen Millionen abgezweigt
worden sein. Ob der Präsident sich auch persönlich bereicherte, wurde nie ge-
klärt, bei der Öffnung seines Testaments erwies sich sein Vermögen als ver-
gleichsweise bescheiden. Für den Bau der neuen Hauptstadt hatte die Regie-
rung einen riesigen Schuldenberg angehäuft, die Auslandsschulden stiegen von
87 Millionen Dollar im Jahr 1955 auf 297 Millionen Dollar 1959, auch die in-
ländische Verschuldung explodierte. Kubitschek hinterließ seinen Nachfolgern
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