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nach Kaffee hatte im Südosten einen neuen Rohstoffzyklus ausgelöst. Vor allem
São Paulo blühte dank des Kaffeebooms auf.
Im Amazonasgebiet setzte ein anderer Rohstoffzyklus ein: der Kautschuk-
boom. Die Nachfrage aus den USA und Europa ließ das verschlafene Urwald-
städtchen Manaus am Rio Negro aufblühen, es wurde zum wichtigsten Um-
schlagplatz für das Naturgummi. Die herrschenden Familien verdienten so viel
Geld, dass sie sich leisten konnten, ihre Villen mit Möbeln, Geschirr und Tü-
chern aus Frankreich auszustatten. Sie errichteten mitten im Amazonasdschun-
gel sogar ein Opernhaus. 1897 wurde der prachtvolle Kuppelbau mit der Pre-
miere von »La Gioconda« von Amilcare Poncielli eingeweiht, er ist immer noch
das Wahrzeichen von Manaus. Die Oper der Amazonasstadt inspirierte den
deutschen Filmregisseur Werner Herzog zu seinem berühmten Urwald-Film
»Fitzcarraldo« mit Klaus Kinski in der Hauptrolle.
Der Boom im Dschungel endete, als englische Händler Setzlinge des Kaut-
schukbaums nach Südostasien schmuggelten und dort eigene Plantagen auf-
bauten. Die brasilianischen Pflanzer waren der Konkurrenz nicht gewachsen.
Anfang des 20. Jahrhunderts produzierten die Industriestaaten erstmals in grö-
ßeren Mengen synthetisches Gummi, damit beschleunigte sich der Niedergang
der Plantagen.
Im Südosten bildeten Kaffeebarone die neue Oligarchie. Sie waren erzkon-
servativ, die feudalistischen Verhältnisse im Landesinneren blieben bestehen,
auf den Plantagen schufteten Sklaven. Die mächtigen Landherren knüpften ein
enges Netz an Kontakten zur Regierung. Bürokraten waren für die Erteilung
wirtschaftlicher Privilegien zuständig, die Kungelei zwischen Regierungsfunk-
tionären und Großbauern blühte.
Wer über einen Schutzpatron bei Hofe verfügte, konnte sich fast alles er-
lauben. Allerdings erwartete der Mächtige als Gegenleistung Gefallen und Ge-
schenke. Dieses mafiöse Interessensgeflecht prägt Brasiliens Gesellschaft bis
heute. »Tráfico de Influencia«, »Handel mit Einfluss« nennt sich das Gescha-
cher mit Gefallen und Privilegien. Wer es schafft, einem Mächtigen einen Ge-
fallen abzuringen, steht in seiner Schuld - und die wird abbezahlt, indem man
dem anderen einen Gefallen erweist, wenn dieser darum bittet. Im Kongress ist
dieses System der gegenseitigen Vorteilsannahme praktisch institutionalisiert.
Das Dickicht aus Privilegien und persönlichen Beziehungen ist undurchschau-
bar, es bildet den Humus für die weit verbreitete Korruption.
Während die Kungelei mit dem brasilianischen Hofe blühte, erwies sich die
Sklaverei im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend als Belastung. Die Eng-
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