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schweren Samba der Hauptstadt in subtile Kammermusik. Im Jahr 1958 nahm
er den Hit »Chega de Saudade« auf, diese Einspielung gilt als Geburtsstunde
des Bossa Nova.
Gilberto und Jobim lieferten den Soundtrack zu den »Goldenen Jahren«
Brasiliens. Sie besangen das Meer, den Strand und die Liebe, doch die musika-
lische Struktur ihrer Lieder ist subtiler, als die Texte vermuten lassen.
Mit ihrem legendären Konzert in der Carnegie Hall 1962 stellten Gilberto
und Jobim die »New Brazilian Music« in den USA vor. Mit dem Saxofonisten
Stan Getz spielte Gilberto die LP »Getz/Gilberto« ein, einen Klassiker der Mu-
sikgeschichte. Zuletzt spielte er im Juni 2008 vor ausverkauftem Haus in der
Carnegie Hall. Doch die fanatischsten Fans hat er in Japan. Dort respektieren
sie seinen Perfektionismus und seine Marotten. In Tokio hat João Gilberto den
Bossa Nova zelebriert wie ein Priester das Hochamt.
In seiner Heimat gilt er dagegen als schwierig und exzentrisch. In São Paulo
unterbrach er ein Konzert, weil ihm die Klimaanlage zu laut war. In Rio trieb er
1994 die Tontechniker zur Verzweiflung, weil die Gitarre zu dumpf klang. Räus-
pern und Hüsteln gilt als Kapitalverbrechen und wird mit vorzeitigem Ende der
Show geahndet. Gilberto habe ein absolutes Gehör, sagen seine Bewunderer, er
empfinde jeden falschen Ton als Belästigung. Sein größter Hit heißt ironischer-
weise »Desafinado«, »Verstimmt«.
Der Musiker gibt keine Interviews, mit seinen Freunden kommuniziert er am
liebsten per Telefon. Er lebt zurückgezogen in einem Apartment in Rios Nobel-
viertel Leblon, nicht einmal seine Nachbarn haben ihn je zu Gesicht bekommen.
Essen bestellt er sich aus den umliegenden Restaurants, am liebsten sitzt er zu-
hause an seiner Gitarre. Manchmal höre man ihn nachts üben, sagen die Pfört-
ner.
Auf dem Platz vor der Musikhalle drängen sich die Schwarzhändler, sie bie-
ten das Zehnfache für die 10-Euro-Karte. Im Foyer steht ein überglücklicher Ja-
paner, er hat 200 Euro bezahlt. »Ziemlich teuer«, räumt er ein. »Aber João Gil-
berto ist ein Gott.«
Drinnen sonnt sich die Schickeria im Licht der Fernsehscheinwerfer. Popstar
und Ex-Kulturminister Gilberto Gil ist da, der Gouverneur winkt aus seiner Lo-
ge, auch Naomi Campbell hat ein Ticket ergattert. Die Korridore summen, alle
rätseln: Kommt er überhaupt? Und wenn ja, wann?
In Rio betritt João Gilberto mit nur 50 Minuten Verspätung die Bühne. Er
geht bedächtig zu seinem Stuhl, man merkt ihm das Alter an. Er trägt einen
dunklen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Seine
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