Travel Reference
In-Depth Information
vergitterten Gesichtsschutz auf. Für einige Sekunden krümmt er sich über den
fleischigen Rindernacken und faltet die Hände zum Stoßgebet. Ein rasches Va-
terunser, dann schlüpft er mit der linken Hand in eine straff gezurrte Leder-
schlaufe und nickt seinem Helfer zu. Der reißt mit einem Ruck das Gitter zur
Seite.
Der fast eine Tonne schwere Stier bockt und springt durch die Arena wie ein
übermütiges Kalb. Immer wieder reißt er die Hinterläufe hoch, dreht sich in der
Luft wie ein Kreisel. Ananías wird durchgeschüttelt wie eine Stoffpuppe, aber er
hält sich bravourös auf dem Tier. Nach acht Sekunden ertönt die erlösende Glo-
cke. Mit einem Satz springt der Reiter in den Sand, zwei als Clowns verkleidete
Helfer lenken den Bullen ab. Der läuft noch eine Ehrenrunde durch die Arena,
dann treiben ihn die Clowns in den Korral zurück.
Ananías hinkt benommen zum Ausgang, er hat sich das Knie geprellt. Aber
er ist glücklich: 79 Punkte, verkündet der Schiedsrichter über Lautsprecher. Da-
mit ist er der Sieger des Abends beim Rodeo von Sertãozinho, einer Kleinstadt
450 Kilometer nördlich von São Paulo. Wenn er auch an den nächsten Tagen
nicht vom Stier fällt, sind die Chancen groß, dass er am Ende des fünftägigen
Rodeo-Marathons 1500 Real Siegergeld einstreichen wird, knapp 500 Euro.
Brasiliens Cowboys verdienen nicht so viel wie ihre Fußballerkollegen Ronal-
do und Konsorten. Doch sie werden ebenso bejubelt wie die Kickerstars. Hor-
den von Teenagern warten vor dem Eingang zur Arena, hysterische Mädchen
kreischen aufgeregt.
In der Provinz ist Rodeo heute populärer als der Nationalsport Fußball. Da-
bei wurde es erst 2002 offiziell als Sportart anerkannt. Der damalige Präsi-
dent Fernando Henrique Cardoso erließ ein Gesetz, das Brasiliens Rodeos nach
US-amerikanischem Vorbild regelt. Es ist in acht Disziplinen unterteilt, darun-
ter »Bulldogging«, das Zusammentreiben und Überwältigen von Kälbern, und
»Bareback«, das Reiten ohne Sattel. Als Königsdisziplin gilt das Bullenreiten:
Der Cowboy muss sich mindestens acht Sekunden auf dem bockenden Tier hal-
ten, dabei darf er sich nur mit einer Hand festklammern.
Tierschützer liefen vergebens Sturm gegen die Anerkennung des rauhen
Westernsports: Um die Stiere anzustacheln, werden ihre Lenden mit einem Le-
derseil eingeschnürt, bevor der Reiter aufsteigt. »Das schmerzt nicht, es kitzelt
nur ein bißchen«, versichert Roberto Vidal, der Präsident des nationalen Ro-
deoverbands. 30 000 Real, knapp 10 000 Euro, zahlte die Organisation für ein
tierärztliches Gutachten, das die Unbedenklichkeit bescheinigt. Wenigstens er-
Search WWH ::




Custom Search