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Wie bitte?
Der fünffache Weltmeister, Heimat von Pelé und Garrincha, Socrates und Zi-
co, Ronaldo, Ronaldinho, und Neymar - kein Fußballand? Ich bin kein Fußball-
spezialist, aber an der Bedeutung des »Futebol« in Brasilien hatte ich eigentlich
nie gezweifelt - obwohl ich das Klischee vom sambatanzenden, fußballverrück-
ten und ewig gut gelaunten Brasilianer immer für etwas infantil gehalten habe.
Und jetzt sagt mir ausgerechnet einer der profundesten Fußballexperten Brasi-
liens, dass der Sport gar nicht so wichtig sei.
Dabei träumen doch Hunderttausende brasilianischer Jungen von einer Kar-
riere als Kickerstar. Nachts spielen sie im hell erleuchteten Park von Flamengo
in Rio, wo die Nachwuchsmannschaften trainieren. Am Zaun lehnen die Olhei-
ros, die Späher der großen Clubs; sie hoffen auf den nächsten Ronaldo, den
neuen Pelé, einen zweiten Neymar. Andere bolzen in den Favelas wie einst
Romário, manche spielen barfuß. Ihre Plastiklatschen ersetzen die Torpfosten.
Wer nie die Hoffnung hatte, jemals berühmt zu werden, vergnügt sich sonntags
bei der »Pelada«, dem Bolzen unter Freunden mit anschließendem Churras-
co, so heißen in Brasilien die Grillfeste. Und natürlich schwärmen die meisten
Brasilianer für einen Club. »Qual é seu time?«, »Was ist dein Team?« ist eine
der ersten Fragen, die man als Neuankömmling in Brasilien zu hören bekommt.
Stolze Väter decken ihre Babys als Erstes in ihren Vereinsfarben ein, und wehe,
das Kind entscheidet sich später, den Club zu wechseln. Bis ins Grab sind sie
ihrem Verein treu: Bevor sich der Sarg in die Grube senkt, decken Freunde ihn
mit der Vereinsflagge des Verstorbenen ab. Bei Fußball hört der Spaß auf, Bra-
silien hat 200 Millionen potentielle Trainer, montags im Büro werden als Erstes
die Spiele vom Wochenende kommentiert.
Kfouri polemisiert gern. Was er sagen will, ist: So, wie der Fußball in Brasi-
lien organisiert ist, hat er keine Zukunft. Eine korrupte Mafia beherrscht den
Fußballverband, viele Vereine sind rettungslos verschuldet, viele Stadien blei-
ben selbst bei wichtigen Spielen leer. Die Bundesliga zieht mehr Publikum an
als das »Brasileirão«, die brasilianische Meisterschaft.
Kein Wunder, dass Tausende brasilianischer Spieler im Ausland kicken, und
zwar nicht nur bei den großen europäischen Starvereinen. In Kasachstan und
Iran, der Republik Moldau und China, Korea und Dubai verleihen brasiliani-
sche Kicker den nationalen Teams Glanz und Ginga - die typisch brasilianische
Kunst des Dribbelns.
Als Gastgeber Brasilien bei dem WM-Endspiel 1950 im Maracanã gegen Uru-
guay verlor, stürzten sich enttäuschte Fans aus dem Fenster. 1970 nutzten die
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