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1990er Jahren eine Freundin bei mir einzog, mit der sie nicht zurechtkam,
praktizierte sie mit einer kleinen Puppe einen Zauber gegen sie. Kurz darauf
ging unsere Beziehung in die Brüche - bis heute bin ich mir nicht sicher, ob
Neusas Zauber mitschuldig war.
Spuren der Umbanda kann der aufmerksame Beobachter überall im Stadt-
bild von Rio entdecken. Morgens liegen an den Straßenecken in meinem Hei-
matviertel Urca oft Opfergaben aus. Schnaps, Bohnen, Reis und Blumen sind zu
einem geheimnisvollen Mosaik drapiert. An den Tagen vor Silvester verwandelt
sich der Strand von Urca in ein einziges »Terreiro«. Aus dem ganzen Stadtge-
biet kommen weiß gekleidete Gläubige mit Bussen und Privatwagen, sie tanzen
die ganze Nacht in Trance auf dem Strand, im Morgengrauen lassen sie Papier-
und Holzschiffchen mit Blumen zu Wasser. Das sind die Gaben für Yemanjá,
die Meeresgöttin. Zur großen Silvesterfete am Strand von Copacabana geht man
ebenfalls in Weiß, am nächsten Morgen spült das Meer Tausende von Schiff-
chen und Blumen an.
In Bahia, wo die afrobrasilianische Kultur stärker ist als im Rest des Landes,
besuchen die meisten Künstler und Politiker ein eigenes »Terreiro«, wo sie dem
Candomblé frönen, der Religion der schwarzen Yoruba-Sklaven. Der Schrift-
steller Jorge Amado, die Musiker Caetano Veloso und Gilberto Gil - sie alle ha-
ben dort ihre »Babalawos«, wie die Priester des Candomblé heißen.
Anfang der 1990er Jahre hatte ich das Privileg, den einzigen weißen »Baba-
lawo« kennenzulernen: Der 1902 geborene französische Fotograf Pierre Verger
lebte zusammen mit seinen Katzen in einem Häuschen in einer Favela in Sal-
vador. Eine deutsche Praktikantin organisierte sein umfangreiches Fotoarchiv.
Kein anderer Fremder war so tief in die Welt der Afrobrasilianer eingetaucht
wie Verger. Sein religiöser Name war Fatumbi; er erhielt ihn bei seiner Weihe
zum Babalawo. Dabei hat Verger nie an die afrikanischen Götter geglaubt, ihn
trieb allein die Neugier. 1996 starb er in Salvador, eine Stiftung verwaltet sein
Erbe.
Salvador ist auch das Zentrum eines Religionskonflikts, der in ganz Brasilien
gärt: der Streit zwischen evangelischen Pfingstkirchen und schwarzafrikani-
schen Religionen. Die Evangelikalen verdammen Candomblé und Umbanda
als Teufelszeug. Sie versuchen, die Verkäuferinnen der Acarajé-Pasteten von
den Straßen und Plätzen zu verbannen. Die weiß gekleideten Frauen, die diese
scharf gewürzten Teigtaschen aus gestampften Bohnen feilhalten, sind zumeist
Vertreterinnen von Candomblé-Gemeinden; sie gehören zum Stadtbild von Sal-
vador wie der berühmte Pelourinho oder der Leuchtturm von Barra. Bislang ha-
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