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gen, ist es relativ friedlich. Nur wenn ich nachts aus der Kneipe kam, habe ich
früher manchmal die Schüsse in den Favelas gehört.
Beruflich musste ich mich leider oft mit dem Drogenkrieg befassen. Die erste
Favela erklomm ich 1991, gleich nach meiner Ankunft. Der Morro da Provi-
dência ist das älteste Elendsviertel von Rio, es liegt am Rande des Stadtzen-
trums. Ein optimistischer Jungunternehmer aus dem Slum wollte damals auf
dem Elendshügel Touren für Touristen veranstalten. Ein paar Monate ging das
gut, dann fand man den Mann tot in der Gosse. Das Motiv für den Mord wurde
nie geklärt, wahrscheinlich war eine Drogengang verantwortlich. Der Morro da
Providência war damals in der Hand des »Comando Vermelho« (Rotes Kom-
mando), der größten Verbrecherorganisation von Rio.
Drei Jahre später führte ich zum ersten Mal ein Interview mit einem Drogen-
boss. Über die Hausangestellte eines Fotografen hatte ich Kontakt zu der Gang,
die den Morro dos Prazeres beherrschte, eine Favela in dem Boheme-Viertel
Santa Teresa.
Bunte Papierdrachen stiegen über dem Hügel auf. Kinder zerrten an den
Schnüren, ein junger Mann huschte über ein Blechdach im ziegelroten Häuser-
gewirr. Ich stellte mein Auto am Fuß der Favela ab und wartete im Schatten ei-
ner Mauer.
Die Drachen meldeten meine Ankunft, sie sind Teil eines ausgeklügelten
Kommunikationssystems, mit dem sich Rios Drogenhändler untereinander
verständigen. Drachen kündigen die Ankunft einer neuen Ladung Kokain an,
warnen vor einer Polizeirazzia oder melden Fremde.
Nach einigen Minuten lösten sich drei Jugendliche aus dem Schatten der
Häuserwaben. Ihre Füße steckten in Plastiksandalen, hinter den Bund ihrer
Bermudashorts hatten sie Pistolen geschoben. Einer sicherte die Treppe zur Fa-
vela; mit dem Lauf seiner Uzi-Maschinenpistole wies er den Weg. Sein flackern-
der Blick verriet den Süchtigen.
Schweigend geleiteten mich die Jungen durch das Labyrinth. Es stank nach
Urin, die Stufen waren schlüpfrig. Der Weg wand sich durch kaum mannshohe
Löcher und dunkle Gänge und endete schließlich vor einer Holztür. Auf ein
Klopfzeichen hin rollte jemand von innen eine Tonne beiseite. Dort führte eine
Treppe auf eine kleine Terrasse mit prächtigem Blick auf die Bucht von Rio.
»Geh aus dem Licht«, mahnte Luiz Carlos da Silva, der Boss der Drogenhänd-
ler, und zog mich hinter einen Mauervorsprung. Grinsend wies er auf eine ge-
genüberliegende Favela. »Unsere Konkurrenten da drüben schießen ab und zu
herüber, das kann ins Auge gehen.«
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