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Gesicht war von Pubertätspickeln übersäht, auf seinen Armen leuchteten mar-
tialische Tätowierungen.
Mit sanfter Stimme beschrieb er, wie er Gefangenen bei lebendigem Leibe
Arme und Beine absägte: »Wir hatten einen speziellen Tisch, auf dem wir Ver-
räter folterten.«
Brasilien ist ein gewalttätiges Land. Über 50 000 Menschen sterben jedes
Jahr eines gewalttätigen Todes, die meisten sind dunkelhäutige junge Männer
zwischen 15 und 25. Meistens stehen die Verbrechen mit Drogenhandel im Zu-
sammenhang. Brasilien ist nach den USA der wichtigste Rauschgiftmarkt des
Kontinents. Das Kokain kommt zumeist über die grüne Grenze aus den Anden-
ländern. Der meiste Stoff wird im Land konsumiert, nur ein kleiner Teil geht
von Brasilien nach Europa oder in die USA.
Drei Rauschgiftkartelle kontrollieren etwa 300 der über 700 Favelas von Rio.
Wie mittelalterliche Zwingherren herrschen die Drogenbosse über die Favelas.
Sie beschäftigen ein Heer von Tausenden »Soldaten« und sind mit Schnellfeu-
ergewehren, Pistolen und Revolvern bewaffnet. Auch Panzerfäuste, Granaten
und Luftabwehrraketen hat die Polizei schon sichergestellt.
Der Staat ist in den meisten Favelas nicht präsent, die Drogenhändler sind
die einzige Autorität. Sie entscheiden über die Öffnungszeiten von Geschäften
und Kneipen und bestimmen, wer in die Favela vorgelassen wird.
Dort herrscht das Gesetz der Bosse, die Gangster entscheiden über Leben
und Tod der Bewohner. »Unsere Banditen gebärden sich wie Territorialfürs-
ten«, sagt Rios Sicherheitsminister José Mariano Beltrame.
Die meisten Morde gehen auf das Konto rivalisierender Banden. Die Gangs
führen untereinander Territorialkriege. Je mehr Favelas in der Hand eines Kar-
tells sind, desto größer die Macht der jeweiligen Mafia. In Konvois aus gestoh-
lenen Autos stürmen sie gegnerische Favelas, bei den Schießereien gibt es Dut-
zende von Toten.
Auch die Polizei ist nicht zimperlich: Rios Militärpolizei gilt als eine der ge-
walttätigsten Truppen der Welt, über tausend Menschen sterben jährlich von
Polizistenhand.
Ich lebe in Urca, einem ruhigen Viertel direkt am Zuckerhut. Das ist die si-
chere Seite von Rio, der »geteilten Stadt«, wie der Journalist Zuenir Ventura
Rio einmal in einem Buch über die Drogengewalt geschrieben hat. Die Gewalt
beschränkt sich zumeist auf die Favelas im Norden und Westen der Stadt. In
der touristischen Südzone, wo die Strände von Copacabana und Ipanema lie-
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