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Eine mit Maschinenpistolen, Granatwerfern und Schnellfeuergewehren aus-
gerüstete Armee von Tausenden zumeist jugendlichen Gangstern hat in den
Ghettos eine Terrorherrschaft errichtet. Von Dächern und Terrassen überwa-
chen sie ihr Revier, halten Ausschau nach der Polizei oder rivalisierenden
Gangs.
Die »Traficantes« kennen jeden Winkel in den Elendshügeln. Die meisten
sind hier aufgewachsen, sie haben noch nie ein normales Stadtviertel betreten.
Die Polizei traut sich zumeist nur mit Panzerwagen in das Häuserlabyrinth.
Viele Einfahrten haben die Gangster mit Stahlträgern und Eisenbahnschwellen
blockiert. In den Slums herrscht das Gesetz der »Parallelmacht«, wie die Dro-
genhändler euphemistisch von den Einwohnern genannt werden.
Mörderisches Brasilien - der Krieg in den Favelas
Marcelo S. war elf Jahre alt, als er zum ersten Mal einen Menschen tötete. Es
war Nacht, rund 20 Jungen hatten sich auf dem Gipfel der Favela in einem Vo-
rort von Rio de Janeiro versammelt. Um die Schultern hatten sie Gewehre und
Maschinenpistolen gehängt, im Bund ihrer Bermudas steckten Pistolen. Den
ganzen Abend schon hatten sie Kokain geschnupft, jetzt waren alle Hemmun-
gen gefallen.
Vor ihnen kniete ein wimmernder Teenager, sein Gesicht war von Schlägen
entstellt. Die anderen Jungen hatten ihn mit glühenden Zigaretten und Mes-
sern gefoltert. Er war ein »X9«, wie die Drogenhändler Verräter nennen; er hat-
te ein Bandenmitglied verpfiffen. Darauf steht das Todesurteil.
Der Bandenboss drückte Marcelo einen 38er in die Hand. Er hielt den schwe-
ren Revolver mit beiden Händen, dann feuerte er dem Jungen in den Kopf.
Die Zuschauer applaudierten und klopften Marcelo auf die Schulter: Er hatte
die Aufnahmeprüfung für das »Terceiro Comando« bestanden, Rios zweitgröß-
te Verbrecherorganisation. Jetzt war er ein »Soldat« der Mafia. Gemeinsam mit
den anderen Jungen zerrte er den Toten in eine Grube, überschüttete ihn mit
Benzin und steckte ihn an. »Ich habe nichts dabei gefühlt«, sagt er. »Ich war
vom Kokain bedröhnt.«
Ich traf Marcelo S. in einer Jugendbesserungsanstalt auf der Ilha do Gover-
nador in Rio, unweit des Internationalen Flughafens, man hörte den Lärm der
Flugzeuge. Er hatte die Haare kurz geschoren und trug blaue Anstaltskluft. Sein
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