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Sitz der zentralen Organe der welt-
größten politischen Partei, die die
Theorie und Praxis des Marxismus-
Leninismus zumindest offiziell als ein-
zige Wahrheit weiterhin verkündet.
Ob das Auswirkungen auf die Men-
schen hat? Sicherlich. Beijing ist der Na-
bel der chinesischen Bürokratie, das
Zentrum der Ideologie und des Militärs
und diese Institutionen generieren eine
riesige - direkte oder indirekte - Nach-
frage nach Verwaltungspersonal, das
sich seinerseits ganz selbstverständlich
als nationale Elite begreift. Die Beijin-
ger fühlen sich privilegiert, so nah am
Zentrum der Macht, doch die Privile-
gien wollen erhalten werden und so
muss der Beijinger traditionell vorsich-
tig taktieren. Weltoffenheit nach au-
ßen zu demonstrieren ist nicht ihr Ding
und so entlädt sich angestaute Frustra-
tion gerne in Ausmaßen historischer Di-
mension. Zuletzt war Beijing im Früh-
jahr 1989 reif für Armageddon, den
biblischen Entscheidungskampf zwi-
schen Gut und Böse. Wobei das Pro-
blem bis heute in der Definition von
Gut und Böse liegt.
jinger Führung. Für die Betroffenen im
Rückblick tragisch ist, dass vieles, wofür
die Beijinger damals auf die Straße gin-
gen und für das über 1000 ihr Leben lie-
ßen, heute Alltag ist.
Licht und Schatten
Die neue Führungsgeneration lenkt
aufkeimenden Unmut nach außen: sei
es gegenüber Taiwan, gegen das laut-
stark mit dem Säbel gerasselt und Pa-
triotismus gepredigt wird, oder gegen
Japan, wo sich der angestaute Unmut
auch schon mal mit offiziell geduldeter
Gewalt gegen japanische Einrichtun-
gen entladen darf.
Beijing wird auch in Zukunft weiter-
hin ein riesiges Experimentierfeld der
Politik sein, die Menschen hier werden
sich anpassen, vorsichtig taktieren, um
ja nichts falsch zu machen. Auf dieser
Ebene ist Chinas Hauptstadt geblieben,
was sie über viele Jahrhunderte war:
eine Bastion der Macht, ausgeübt hin-
ter hohen undurchdringlichen Mauern,
mit einer Bevölkerung, die sich stets be-
wusst ist, dass sie in diesem Zentrum
lebt und am Glanz, aber auch am Un-
tergang von Stadt, politischer Führung
und Land direkt teilnimmt.
Der große Knall
1989 sahen die betagten Konservativen
der chinesischen Führung, behaglich
eingebunden in eine erbliche Oligar-
chie revolutionärer Veteranen und de-
ren Nachkommen, Bewahrer eines un-
definierbaren Gemischs aus kommunis-
tischer Utopie und negativster Aspekte
der traditionellen chinesischen Kultur,
ihr Weltbild und ihre Macht in Gefahr.
Die Entwicklung, die sie selber noch an-
gestoßen hatten, lief aus ihrer Sicht auf
einmal aus dem Ruder, geriet durch
jene in Gefahr, die friedlich versuchten,
ein neues chinesisches Zeitalter einzu-
läuten. Gewalt war die Lösung der Bei-
Literaturtipp
Janis Vougioukas: Wenn Mao das
wüsste. Menschen im neuen
China. München 2008. Der China-
korrespondent der Süddeutschen
Zeitung zeichnet querbeet durch
alle Gesellschaftsschichten Porträts
von Menschen eines Landes, das
sich in atemberaubendem Tempo
wandelt - lebendig, mitreißend,
authentisch. Ein Buch, das anregt,
genauer hinzuschauen.
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