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abgeschafft, die Menschen lebten in vollkommener Gütergemeinschaft. Schwere Konflikte
brachen auf, als Rapp 1807 die völlige sexuelle Abstinenz von den Harmonisten forderte,
ohne sich selbst daran zu halten. Wied verliert über diese offensichtliche Diskrepanz kein
Wort, obwohl gerade im Jahr seiner Anwesenheit nahezu ein Drittel der Gemeinde aus
Protest Rapp gegenüber die Harmony Society verlassen hatte. Romelius Baker, der nach
Rapps Tod im Jahre 1847 dessen Nachfolger wurde, lebte hingegen, wie wir bei der Besich-
tigung seines Hauses feststellen, bedeutend spartanischer, möglicherweise in der Hoffnung,
eine weitere Abwanderung seiner Glaubensbrüder und -schwestern durch eine vorbildliche
Lebensweise abwenden zu können.
Robert Linn ist Rechtsanwalt in Pittsburgh. Nachdem Ruth Jody ihn darum gebeten hatte,
sich um uns zu kümmern, ist es für ihn selbstverständlich, uns seine Heimatstadt zu zeigen.
Robert ist ein smarter, sympathischer und durchtrainierter Typ, der pünktlich um 16 Uhr
mit einem offenen Saab Cabrio auf dem Parkplatz unseres Hotels eintrifft. Er begrüßt uns
freundlich und schlägt vor, uns die Stadtteile zu zeigen, die wir bisher noch nicht gesehen
haben. Dabei spricht er langsam und wohlakzentuiert, damit wir seinen Erklärungen und
Beschreibungen besser folgen können. So ist es für uns eine Freude und eine Bereicherung,
seinen Erläuterungen zu folgen.
Während wir die schönsten Viertel der Stadt zu sehen bekommen, wird uns im offenen
Cabrio langsam kalt. Robert hingegen, Marathonläufer aus Leidenschaft, wie er uns stolz
erzählt, scheint der kühle Fahrwind nichts auszumachen, obwohl er sehr viel luftiger an-
gezogen ist als wir. Er zeigt uns die Cathedral of Learning im Universitätsviertel, South-
side Pittsburgh, Washington Landing und erklärt, dass die Stadt mehr Brücken besitzt als
Venedig, nämlich insgesamt vierhundertundsechsundvierzig, und dass die vielen Brücken,
Gebäude und Spielstätten, die den Namen Heinz beinhalten, von der H.J. Heinz Company
erbaut, finanziert oder gesponsert worden sind, von jener Firma also, die das weltbekan-
nte Heinz Ketchup herstellt. Nach zwei interessanten Stunden Sightseeing parkt Robert
schließlich seinen Saab vor einem schmucken und hell erleuchteten Haus in einem idyll-
ischen Wohnviertel nahe der Universität. Seine Frau Virginia, eine zierliche Person und
Journalistin bei der Pittsburgh Post-Gazette, empfängt uns freundlich und stellt uns ihre
drei Teenager, zwei Mädchen und einen Jungen, vor. Außerdem leben im geräumigen Haus
noch Katze und Hund in einträchtiger Zuneigung zueinander und patrouillieren gemein-
sam über den wunderbaren Parkettboden. Eine Welt, wie aus einem Werbefilm, in dem das
geschmackvoll ausgestattete Heim einer erfolgreichen amerikanischen Mittelstandsfamilie
dokumentiert ist. Die Kinder genießen eine ausgezeichnete Ausbildung, Mutter und Vater
sorgen fürs nötige Auskommen.
Doch die Idylle trügt. Nachdem wir zur Begrüßung ein paar Snacks und einen guten
Rotwein serviert bekommen haben, wechseln wir nach einem Smalltalk zum Dinner ins
Wohnzimmer. Dort entwickelt sich eine Diskussion, die uns unsere Gastgeber näher bringt.
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