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Kapitel I Boston und New York
Seereisen nach Nord-America gehören jetzt zu den alltäglichen Ereignissen, und man hat
von ihnen etwa zu erzählen, dass man Schiffe sah und begrüsste, gutes Wetter oder Stürme
fand und dergleichen mehr; es ist daher hier blos zu bemerken, dass die Reisegesellschaft
am 17. Mai Abends sich zu Helvoet-Sluys auf ein americanisches Schiff begab, am 24. Cape
Landsend in Cornwall in nebliger Ferne schwinden sah, und von Europa Abschied nahm.
Mit dieser lakonischen Anmerkung beginnt Wied die Beschreibung seiner Reise im Jahre
1832. Bevor er das zweimastige Segelschiff „Janus“ besteigen konnte, hatte Prinz Maximili-
an eine zehntägige Reise von Neuwied den Rhein hinunter bis zum holländischen (heuti-
gen) Helvoetsluis zu bewältigen. Der Ort liegt in der Nähe von Rotterdam am Haningvliet
und war damals der größte Kriegs- und Überseehafen der Niederlande. Alltäglich waren die
Reisen in die Neue Welt 1832 noch nicht, selbst wenn Wied das vor dem Hintergrund sein-
er bisherigen Reisen behauptete. Bis dato waren die meisten Passagiere Auswanderer mit
einem One-Way-Ticket. Die großen Emigrationswellen setzten in Deutschland erst nach den
wirtschaftlichen Krisen Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Auch der regelmäßige Liniendienst
zwischen Europa und Amerika steckte noch in den Kinderschuhen. Das Dampfschiff „Roy-
al William“ war 1833 das erste seiner Art, das den Atlantik komplett unter Dampf und in
weniger als dreißig Tagen überquert hatte und den Grundstein zu einem Linienverkehr le-
gen wollte. Die meisten Transatlantik-Schiffe, die mit Dampfmaschinen ausgerüstet war-
en, bewältigten die Strecke bis in die Dreißigerjahre des 19. Jahrhunderts hinein mit einer
Kombination aus Segeln und Dampfkraft bei Flauten bzw. ruhiger See. Das Reisen im Stile
Wieds konnten sich nur wohlhabende Menschen leisten, zumal das Reisen als solches eines
Antriebs bedurfte, der sich im Vormärz aus dem damaligen humboldtschen Bildungsver-
ständnis speiste. Das Reisen war in der Biedermeierzeit überaus anstrengend und zeitintens-
iv. Niemand hätte sich ohne triftigen Grund auf einen so beschwerlichen Weg gemacht. Das
blieb nur jenen vorbehalten, die im Reisen eine Bildung zur Humanität sahen. In der Regel
waren das begüterte Adelige oder wohlhabende Mitglieder des aufkommenden Bürgertums.
Wied, Dreidoppel und Bodmer benötigten für die TransatlantikPassage damals 48 Tage.
Nachdem Wied und seine Gefährten bei Cape Cod das erste Land gesichtet hatten und in die
Massachusetts Bay hinein segelten, passierten sie um Mitternacht endlich den Lighthouse
von Boston mit seinem weithin sichtbaren Leuchtfeuer. Am folgenden Morgen liefen sie in
den mit rauchenden Dampfschiffen belegten Hafen ein und betraten amerikanischen Boden.
Es war Mittwoch, der 4. Juli 1832, am amerikanischen Unabhängigkeitstag. Wied notierte
dazu:
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