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Vor etwa zehn Jahren erlebte der traditionelle Samba eine Art Wie-
dergeburt, als in Lapa altmodische gafieiras (Tanzhallen) wiedereröff-
net wurden. Heute wimmelt es in Rio einmal mehr von großartigen
sambistas. Klassische Vertreter wie Alcione und Beth Carvalho treten
nach wie vor auf, andere Sänger wie Teresa Christina und die Grupo
Semente sind im Zuge von Lapas Renaissance groß geworden, es gibt
aber noch mehr hoffnungsvolle Talente. Thais Villela ist z. B. ein auf-
steigender Stern am Himmel von Lapa. Bei Diogo Nogueira mit der
tiefen Stimme handelt es sich um den Sohn des berühmten Sängers
João Nogueira.
Auch Mart'nália, die Tochter der Sambalegende Martinho da Vila
führt das Erbe ihres Vaters fort. Die Sängerin und Liederschreiberin
Maria Rita komponiert derweil innovative, mit Sambaelementen durch-
wirkte Songs. Ihre Stimme ähnelt sehr der ihrer Mutter Elis Regina.
Bossa nova
In den 1950er-Jahren schlug die Stunde des Bossa nova (wörtlich „neue
Welle“). Sie läutete eine neue Ära der brasilianischen Musik ein. Ihre
Urväter, der Texter und Komponist Antônio Carlos (Tom) Jobim und
der Gitarrist João Gilberto wandelten den Grundrhythmus des Sam-
bas mithilfe des Dichters Vinícius de Moraes ab und drosselten das
Tempo, um einen intimeren, harmonischeren Sound zu schaffen. Dar-
über hinaus veränderte die „neue Welle“ die Spielweise der Instrumen-
te und die Art zu singen.
Die verführerischen Melodien werden gern mit der Zona Sul assozi-
iert, denn dort lebte ein Großteil der Bossa-nova-Musiker. Lieder wie
Jobims Corcovado oder Roberto Meneschals Rio beschworen ein gera-
dezu nostalgisches Bild von der Stadt herauf.
Bereits in den 1960er-Jahren wurde der Bossa nova international ge-
feiert. Anfangs hatten amerikanischer Jazz und Blues bei der Entwick-
lung des Genres großen Einfluss, später war es dann genau umgekehrt:
Bossa-nova-Hits wurden von Stars wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald
und Stan Getz gehört, geliebt, adaptiert und neu aufgenommen.
Bedeutende Sänger neben den oben genannten Urvätern sind Mar-
cos Valle, Luiz Bonfá und Baden Powell. Die „neue Welle“ drückte auch
Bands aus den 1960er-Jahren wie Sergio Mendes & Brasil '66 ihren
Stempel auf. Gleiches gilt für weitere Künstler, die vor der Unterdrük-
kung durch die Militärdiktatur flohen und ins Exil gingen, um dort zu
leben und zu komponieren. Zu den modernen Interpreten zählen Rosa
Passos aus Bahia und Paula Morelenbaum, eine carioca .
Tropicália
Eine der wichtigen Künstlerbewegungen Brasiliens kam in den späten
1960er-Jahren auf. Die tropicália war die direkte Antwort auf die Un-
terdrückung durch die Militärdiktatur, die 1964 die Macht ergriffen
hatte (und bis 1984 an der Macht blieb). An der Spitze der tropicalistas
standen die beiden Sänger Caetano Veloso und Gilberto Gil aus Bahia.
Mit ihren Protestsongs gegen das Regime sorgten sie für einigen Wir-
bel. Sie schufen aber nicht nur aufmüpfige Texte, sondern konfrontier-
ten ihr Publikum auch mit elektrischen Instrumenten, Melodiefrag-
menten und einer wilden Mischung aus Musikstilen. Der eigentliche
Held der tropicalistas war der Dichter Oswald de Andrade, dessen
Mani festo Antropofágico (Kannibalistisches Manifest) von 1928 von der
Idee getragen war, dass alles unter der Sonne verschlungen und in der
Musik wiedererschaffen werden kann. So kam es, dass Elemente des
amerikanischen Rock 'n' Roll, Blues, Jazz und britische psychedelische
Stile mit Bossa-nova- und Sambarhythmen vermischt wurden. Wichti-
Bossa Nova: The
Story of the
Brazilian Music
that Seduced the
World von Ruy
Castro erzählt
von der Musiksze-
ne im Rio der
1950er-Jahre.
Tropical Truth: A
Story of Music
and Revolution
in Brazil von
Caetano Veloso
beschreibt das
großartige Künst-
lerexperiment
tropicália aus den
1960er-Jahren.
Hin und wieder
schweift er ab,
doch insgesamt
liefert Veloso ein
schönes Porträt
von der Musik
und Politik
dieser Ära.
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