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seien. Das Gebetshaus soll um 1270
wegen des Zuzugs von Juden aus
Worms, Speyer und Regensburg ent-
standen sein. Die Tür auf der Südsei-
te öffnet sich in einen niedrigen Um-
gang und führt zum Raum der Frauen,
die nur durch schießschartenartige
Öffnungen den Gottesdienst verfol-
gen konnten. Der hohe zweischiffige
Saal ist für die Männer gedacht, ein
Sitz bleibt zu Ehren von Rabbi Löw
bis heute leer. In das Gewölbe ist eine
fünfte Rippe eingezogen, vermutlich
um kein Kreuz als Symbol entstehen
zu lassen. Der Altarraum ist von ei-
nem Eisengitter umschlossen, der
große neunarmige Leuchter, ein gold-
bestickter Thora-Vorhang und ande-
re Kultgegenstände schimmern ge-
heimnisvoll in dem dunklen und stil-
len Raum.
µ Červená 2, Metro A: Staroměstská, So.-
Do. 9.30-17 Uhr, Fr. 9-16 Uhr. Eintritt
200 Kč.
JüdIsche lIteratur In prag
„No? Haben Sie den Golem gefunden?“
forscht der Hausmeister der Altneuen
Synagoge SS ironisch. In seinen Get-
togeschichten hat Egon Erwin Kisch
(1885-1948) augenzwinkernd über
seine Suche nach dem Golem auf dem
Dachboden der Synagoge berichtet.
Kisch gehörte zum Prager Kreis wie
Franz Werfel (1890-1945), Max Brod
(1884-1968) und Franz Kafka (1883-
1924), die sich im Café Arco regelmä-
ßig trafen und auf Deutsch schrieben.
Zunächst waren die Juden Prags der
deutschen Sprache und Kultur zuge-
wandt. Aber 1900, mit der wachsenden
Nationalbewegung der Tschechen, be-
kannte sich bereits mehr als die Hälf-
te der rund 18.000 Juden in Prag zur
tschechischen Kultur. Viele deutsch-
sprachige Schriftsteller verließen die
Stadt: Rainer Maria Rilke, Franz Wer-
fel, Paul Kornfeld, Ernst Weiss.
Kafkas Werk spiegelt die zerris-
sene Identiät jüdischer Schriftstel-
ler am eindringlichsten wider. Auch
er war nach Berlin gegangen, kehr-
te aber wieder zurück, denn Prag -
„dieses Mütterchen hat Krallen“. Kaf-
ka konnte kaum Tschechisch und war
zum Deutschen gezwungen, während
er noch am Judentum klebte, das ihm
aber auch keine Heimat mehr war.
Egon Erwin Kisch schrieb für die An-
erkennung der tschechischen Kultur
und schuf die literarische Reportage.
Franz Werfels frühe Lyrik war Aus-
druck der expressionistischen Revolte.
Die Verlorenheit des modernen Men-
schen hat aber in Kafkas Werk gül-
tigen Ausdruck gefunden. Die meis-
ten jüdisch-deutschen Schriftsteller
wurden in den Gaskammern der Na-
zis ermordet. Der letzte Überlebende,
Paul Eisner (1973 in Prag gestorben)
schrieb 1945: „Der Zweite Weltkrieg li-
quidierte fast alle Juden bei uns. Und
wer blieb, der wird schon nie mehr ein
deutscher und von der deutschen Kul-
tur befruchteter Jude sein.“ Überleben-
de wie Arnošt Lustig (1926) schreiben
auf Tschechisch über das Schicksal der
Juden unter den Nazis. Zu nennen wä-
ren noch Ivan Klíma (1931), Johannes
Urzidil (1896-1970), Egon Hostovský
(1908-1973) und der wunderbare Ro-
mancier Ota Pavel (1930-1973).
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