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tickets aufzubewahren. Sie selbst verbringen darin so wenig Zeit wie möglich. Die Vorstellung, in
den eigenen vier Wänden auf sich allein gestellt zu sein - vielleicht sogar für mehrere Stunden am
Stück!-,istfürsiepsychologischgleichbedeutendmitsiebenJahrenEinzelhaftineinemKellerim
Schwarzwald. Immerzu brauchen sie die Bestätigung von außen, dass sie ein tolles Leben führen
und viel erleben, sonst haben sie das Gefühl, überhaupt nicht zu existieren.
Stubenhocker:Siesindruhig,gernfürsichundbekommenkeinePanikattacken,wennsiemaleinen
Tag nicht unter Leute gekommen sind. Im Gegenteil wird ihnen in Menschenaufläufen oder beim
Gedanken an ferne Länder ganz mulmig. Sie verzweifeln nicht, wenn ein Tag keine Überraschun-
gen oder Abenteuer mit sich bringt, sondern streben eher nach beruhigender Berechenbarkeit. Sie
empfindennichtdieNotwendigkeit,dauerndanderenvonsichzuerzählen,imGegenteil,sieschät-
zen das ausgewählte kommunikative Miteinander. Ihre Wohnung ist für sie der Mittelpunkt ihrer
Welt. Sie verbringen darin so viel Zeit wie möglich. Die Vorstellung, mehrere Stunden auf sich al-
leingestelltindeneigenenvierWändenzusein,lässtsievorFreudejauchzen.ZwarmögenStuben-
hocker durchaus die Gesellschaft anderer Leute. Aber einerseits sollte diese nur in kleinen Dosen
genossenwerden,undandererseitsmissbrauchenStubenhockerihreMitmenschennichtzurperma-
nenten Selbstbestätigung.
Letztere, die konsequenten Stubenhocker, sind von einigen Leuten geradezu geächtet. Diese Nihilis-
ten der Wellness! Ungläubig werden sie vonden anderen angeschaut, die regelmäßig verreisen, wäh-
rend die Stubenhocker mit ihrem Leben, so wie es ist, zu Hause, ganz zufrieden sind, und die eigent-
lich nur ihre Ruhe haben wollen. Sie sind schon mit sich im Reinen, wenn sich der Geräuschpegel
um sie herum in Grenzen hält, die Zimmertemperatur angenehm ist und ein Buch griffbereit liegt.
StubenhockersindLeute,dieerstdenkenunddannsprechen,wasinderbundesdeutschenGegenwart
des 21. Jahrhunderts eher die Ausnahme darstellt. Sie bemühen sich nicht rund um die Uhr um ihren
sozialen Status, und es ist nicht ihr Lebensziel, andere zu übertrumpfen - ganz besonders nicht im
olympischen Finale derLangstreckenreise unddem24-stündigen Wellnessmarathon. Sieverschwen-
den keine Zeit, keine Energie und kein Geld im Wettbewerb der Reisesüchtigen. Doch weil sie eine
Minderheit sind, werden die Stubenhocker an den Rand gedrängt und belächelt von denjenigen, die
in Urlaub fahren und danach aller Welt lautstark davon berichten müssen.
Die Zeit ist reif, die Stubenhocker zu rehabilitieren. Nein, nicht nur das. Wir müssen die freie und
bewussteEntscheidunggegendasVerreisenzudemerklären,waseswirklichist:eineigenerLifesty-
le.
Damit wir uns verstehen: Es ist nicht der berüchtigte »Urlaub auf Balkonien« gemeint. Dieser
ist das Methadon-Programm der verklemmten Reisesüchtigen, eine vorgeschobene Entschuldigung,
warummankeinen Urlaubmacht, gepaart mit Verweisen aufberufliche, private oderfinanzielle Ver-
pflichtungen. Balkonien - dieses Utopia des spießigen Kleinbürgertums und der Feigheit. Nein, das
will niemand. ECHTE Reiseverweigerung geschieht völlig selbstverständlich. Wenn jemand das B-
Wort zu Ihnen sagt, dann recken Sie Ihr Kinn vor und erwidern mit fester Stimme: »Ja, ich bleibe
zu Hause, und, nein, ich lasse mir keinen Druck machen, mit den Reisesüchtigen zu konkurrieren.
Ich vereinbare keine Termine, die mit Klangschalen zu tun haben, ich jage nicht der Erholung hin-
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