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Inder Theorie könnte einem Stubenhocker eine Kreuzfahrt genehm sein -schließlich hat er eine Bu-
de, in der er über die Weltmeere schippert, diese wird vom Kabinenpersonal sauber gehalten, und es
gibt was zu essen. Wenn man sich oft genug einschließt und genug zu lesen dabei hat, könnte man es
so aushalten. Doch eine Vielzahl an Faktoren macht eine Kreuzfahrt unerträglich:
Der Wellengang. Selbst in ruhigen Gewässern und auf einem großen Schiff - Sie haben keinen fes-
ten Boden unter den Füßen. Entweder die Bewegung ist fühlbar, oder Sie haben einfach diese na-
gendeGewissheit,dassSiesichaufeinemSchiffbefinden.DieserGedankeistmindestensgenauso
schlimm wie das Schaukeln an sich. Haben Sie vielleicht auch noch einen empfindlichen Magen?
Dann machen Sie sich keine Illusionen.
Das Gefängnisflair.Sie sind auf engstem Raum mit tausenden anderen Menschen, undüber längere
Zeiträume hinweg können Sie diesen nur aus dem Weg gehen, indem Sie sich in Ihrer Kabine ver-
barrikadieren. Und selbst dort hören Sie die anderen unablässig. Zudem ist Ihre Kabine ungefähr
so geräumig und bequem wie eine Zelle in einer südhessischen JVA . Egal wie groß Sie sind - in
Ihrem Bett können Sie sich nicht ganz ausstrecken. Auf der Toilette ist es Ihnen nur möglich, seit-
lichzusitzen,weilsonstIhreKnienichtinsBadpassen.DerSeeblickistinIhrerKabinebesonders
intensiv, weil Sie weit unter der Wasseroberfläche einquartiert wurden. Nur gelegentlich treibt eine
fluoreszierende Qualle vorbei und erhellt die Dunkelheit. Auch die Massenverköstigung im Spei-
sesaal wird bei Ihnen nur funktionieren, wenn Sie unauffällig einen Gehörschutz ins Ohr dübeln
und während des Essens nicht den Blick vom Teller heben, denn die lähmende Akustik verdirbt
jeden Appetit. 1992 soll sich ein Passagier im Speisesaal eines Kreuzfahrtschiffes verlaufen haben,
er wurde erst zwei Wochen später verwildert und scheu unter einem der Tische gefunden. Bei län-
geren Fahrten von Hafen zu Hafen werden Sie bekloppt, weil Sie nur Wasser jenseits des Schiffes
sehen. Vom Schiff kennen Sie irgendwann jeden Winkel, und leider sind die Rettungsboote so fest
angebunden, dass Sie sie nicht alleine losbekommen.
Die Häfen. Egal, wo Sie einlaufen, Sie werden schon von lauter freundlichen Einheimischen er-
wartet. Sie haben noch nicht einmal Land gewonnen, und schon werden Ihnen Dinge ins Gesicht
gedrückt, die Sie unbedingt kaufen sollen: grob geklöppelte Decken, debil geschnitzte Kreuzungen
aus Kaninchen, Tapir und Ananas, Teesorten, die nach Büffel in Brackwasser riechen. Ihnen wer-
den Ausflüge und Tagesfahrten angeboten, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
gemeldet gehören.
Die meisten Menschen sind Gewohnheitstiere. Wenn sie öfter als drei Mal an einem bestimmten Ort
waren, beanspruchen sie diesen für sich. Das gilt für die Liege auf dem Sonnendeck genauso wie für
den Platz im Speisesaal. Wenn Sie sich am ersten Tag zum Essen niederlassen, ist die Wahrschein-
lichkeit groß, dass Sie immer dort sitzen werden. Das ist nicht mal deswegen der Fall, weil SIE das
wollen, sondern weil alle anderen so unflexibel sind. Wählen Sie also Ihren Sitzplatz mit Bedacht.
Die Serviceleute werden versuchen, Sie auf einen bestimmten Stuhl zu bugsieren, damit sie nicht so
weit laufen müssen, aber Sie sollten unverzüglich protestieren, wenn Sie neben einem der folgenden
Leute platziert werden sollen:
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