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runterputzen. Und das tut er in den meisten Fällen wirklich, doch anders als andere Bevölkerungs-
gruppen gibt er sich keine Mühe, das zu verheimlichen. Damit man ihn auch als Berliner erkennt,
hängt er ein halb gebelltes »Wa?« an jeden seiner Sätze an. Imitieren Sie ihn nicht. Das nimmt er
Ihnen übel.
Die Geisteshaltung, die damit einhergeht, ist der Spiegel der Sprechweise. Ein Berliner ist rund um
die Uhr empört und macht daraus keinen Hehl. Er sucht nicht den Grund für die Schlechtigkeit der
Welt, er ist überzeugt, dass die Welt selbst daran schuld ist, weswegen er kein Mitleid empfindet,
sondern sich lieber über die Welt im Allgemeinen aufregt. Das hat dazu geführt, dass ein Berliner
psychisch nicht in der Lage ist, etwas zu loben. An allem lässt sich etwas Schlechtes entdecken.
Aus diesem Grund wurde Berlin als Regierungssitz und Hauptstadt für das deutsche Volk auserko-
ren.
Die »Berliner Luft« ist weniger kompliziert.
Sie ist schlecht.
Wer Berlin besucht, braucht keine großen Pläne zu machen. Sobald man die Stadt betritt, wird man
unweigerlich mit den Touristenströmen mitgerissen und landet bei den typischen Attraktionen: ein
Tor, das ohne echten Sinn in der Landschaft rumsteht, eine halbe Kirche, ein Bratwurstverkäufer un-
ter einem Funkturm, wie man ihn überall in der Republik aufragen sieht. Sie brauchen auch nicht zu
planen, mit dem ÖPNV zu bestimmten Stellen in der Stadt kommen zu wollen. Dieser ist entweder
kaputtoderüberfüllt.NurimäußerstenNotfallsolltenSieversuchen,aufeinTaxiauszuweichen(sie-
he »Berliner Schnauze« oben). Wenn Sie in Berlin zu Gast sind, lassen Sie sich am besten einfach
treiben. Sie landen zwangsläufig da, wo Sie nicht hinwollten. Früher oder später wird die Polizei Sie
auflesen und in Ihr Hotel oder zurück zum Bahnhof oder dem Flughafen bringen.
Sprechen Sie in der Gegenwart eines Berliners niemals seiner Stadt den Metropolen-Status ab. Sie
könnten genauso gut ohne Hose rumlaufen - einige würden sich peinlich berührt abwenden, ande-
re würden Ihnen ungefragt die Fresse polieren. Die Berliner sind derart stolz darauf, dass Berlin als
Weltstadt gilt, dass sie diesen Status als Alleinstellungsmerkmal beanspruchen. Sie können sich in-
zwischen gar nicht mehr vorstellen, dass jemand irgendwo sonst leben will, und sind verwirrt, wenn
sie im TV sehen, dass es Leben jenseits von Brandenburg gibt. Für sie ist ein Ort, den man nicht als
Tagesausflug erreichen kann, nicht existent. Sätze wie »Och, in Hamburg oder München lebt sich's
auch nicht schlecht« sollten Sie niemals von sich geben, solange Sie in Berlin unterwegs sind. Min-
destenslösenSiedamitUnverständnisaus,schlimmstenfalls einenlangenSermon,warumBerlindie
einzig lebenswerte Stadt unter der Sonne ist.
Tabu ist es auch, sich über Start-ups lustig zu machen. Mehrmals täglich werden Ihnen verschiede-
ne Berliner etwas von ihrer einmaligen Geschäftsidee erzählen. Wenn Sie lange Hosen tragen, wird
der Berliner Sie für einen möglichen Investor halten und einen lustigen Spagat versuchen, Sie für
seine Idee zu begeistern, wie man beispielsweise genmanipulierte Gewürznelken weltweit übers In-
ternet verkaufen kann, ohne diesen einen genialen Twist zu verraten, der seine Idee so unglaublich
originell macht. Sobald der Berliner allerdings merkt, dass Sie kein Geld über haben, verliert er sein
Interesse und verlegt sich auf »Berliner Schnauze« (die Welt ist schlecht etc.).
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