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nen lenken mussten. Sie versuchten es erst mit Hufeisenwerfen, aber das war ihnen zu harmlos, dann
mit Eisstockschießen, aber das ging auf dem Kies nicht so toll, und dann schossen sie auf Bäume.
Das war laut, gab gelegentlich Verletzungen und richtete Schaden an - die Hochsauerländer waren
begeistert. Sie nannten ihr Treffen »Schützenfest«, und der Gewinner durfte das Hochsauerland fort-
an regieren. Weil es den Hochsauerländern aber schnell langweilig wurde und sie nicht ein weiteres
Jahr warten wollten, bis sie auf dem nächsten Schützenfest ihren neuen Herrscher ermitteln konnten,
führten sie kurz darauf wieder eines durch. Und dann noch eines. Das blieb dann bis in die Neuzeit
so.
Heutzutage steigt fast jedes Wochenende im Hochsauerland irgendwo Pulverqualm auf. Hatte frü-
her ein Schützenkönig noch echten legislativen Einfluss, ist es heute nur noch ein Ehrenamt, doch
deswegen lassen die Sauerländer nicht von ihrer Tradition ab.
Bereisen Sie das Sauerland, sollten Sie davon absehen, die Bewohner eines Dorfes über die Nach-
bardörfer zu befragen. Sie könnten alte Wunden aufreißen, und wegen des nächsten Schützenfestes
laufen sowieso alle bewaffnet durch die Gegend. Droht die Situation zu eskalieren, fordern Sie den
Sauerländer zum Duell auf - an der Schießbude des nächsten Schützenfestes. Lassen Sie ihn gewin-
nen, und geben Sie ihm einen aus, dann kommen Sie auch wieder unverletzt weg.
Spreewald
Aufgrund einer geologischen Anomalie gibt es in dieser Gegend einen Boden, der fast alle Arten
von Lebensmitteln abstößt. Kartoffeln werden nur als schwarze, faustgroße Klumpen aus der Erde
gezogen, Erdbeeren verkriechen sich so tief in der Scholle, dass sie nicht mehr gefunden werden,
undSelleriemutiertzuSchilfgras,dasschwacherhitztgernfürGiftattentate verwendetwird.Nurein
Gewächs gedeiht im Boden des Spreewalds - und zwar die Gurke. Im Mittelalter waren die Gurken
desSpreewaldsnochgroßwieKürbisse,dochschädlicheUmwelteinflüssehabendieGurkenaufihre
heutige Größe degenerieren lassen.
Wegen seines Gurkenvorkommens war der Spreewald zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsge-
schichtehartumkämpft.ImlegendärenGurkenkriegstrittensichlangeZeitalleumliegendenKönigs-
häuser um ein besonders fruchtbares Fleckchen Erde. Die Legende besagte, dass nach einer dreitägi-
gen Schlacht im Jahr 1599, als das Blut von Soldaten den Boden getränkt hatte, noch jahrzehntelang
eine außergewöhnliche, weil rote Gurke auf dem ehemaligen Schlachtfeld wuchs, die als besondere
Delikatesse galt. Die Einheimischen nannten sie ehrfürchtig die »Blutgurke«.
WennSiedenSpreewaldbesuchen,dürfenSietunundlassen,wasSiewollen.NureinessolltenSie
vermeiden - sich kritisch über den Gurkengeschmack in Ihrem Essen zu äußern. Rutscht Ihnen ein
despektierlicher Kommentar raus, sollten Sie fliehen, bevor die Einheimischen Ihnen mit ihren Gur-
kenspießenneuePiercingsverpassen.WennmanIhneneineGurkeanbietet,solltenSiediesedankbar
annehmen. Immer. Greifen Sie sie mit beiden Händen, und verbeugen Sie sich dabei kurz. Beißen
Sie unverzüglich ein Stück ab, und loben Sie den würzigen Geschmack. Fragen Sie nach der genau-
en Herkunft der Gurke, und man wird Ihnen die kommende Viertelstunde lang alle Details über die
Ahnengalerie dieser speziellen Gurke berichten. Unterbrechen Sie keinesfalls den Monolog, sonst
beginnt er von vorne.
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