Travel Reference
In-Depth Information
Widmen Sie sich der Kakteenzucht. Dies sind die perfekten Pflanzen: brauchen wenig Wasser, sind
nicht beleidigt, wenn man sie ignoriert, und können wirkungsvoll auf Einbrecher, pampige Hand-
werker und ungebetene Religionsverkäufer geworfen werden. Suchen Sie sich die Sorte aus, deren
Nadeln Sie zudem ernten und online als folkloristische Zahnstocher verkaufen können. Beeindru-
cken Sie Ihre Freunde mit Ihrem Wissen über die Welt der Stachelgewächse. Optimieren Sie die
vielen Wikipedia-Einträge über Kakteen.
GründenSie»Stubenhocker TV «.Jemandmussschließlichanfangen,einGegenstückzuderganzen
Reisepropaganda auszustrahlen, dieSieirgendwoimdreistelligen Bereich IhrerSenderliste finden.
Machen Sie sich über den Offenen Kanal in Ihrer Region kundig, und finden Sie einen Sendeplatz
für echtes Stubenhocker-Fernsehen. Testen Sie in Ihrer Sendung die Qualität aktueller Couchmo-
delle und Anrufbeantworter. Veranstalten Sie eine Anti-Talkshow, in der niemand streitet, sondern
inderLeuteentspanntrumsitzen,waslesen,Musikhören.ZeigenSiedieschönstenHäuserinIhrer
Gegend. Oder lassen Sie einfach eine Webcam den Blick aus Ihrem Fenster übertragen. Stunden-
lang.
Setzen Sie sich einfach hin. Ganz still. Schließen Sie Ihre Augen. Sie haben einen leeren Kalender
und keinerlei Verpflichtungen. Niemand verlangt Ihre Anwesenheit. Nichts muss gerade erledigt
werden. Sie leben in dem Moment und horchen in sich hinein, wonach Ihnen der Sinn steht. Und
Sie wundern sich, warum andere so verzweifelt ihr Leben entschleunigen wollen und es nicht hin-
bekommen - für Sie ist es das Leichteste, was es gibt. Es heißt, niemand bereue auf seinem Sterbe-
bett, zu wenig ereignislose, gemütliche Abende erlebt zu haben. Das könnte eine urbane Legende
sein. Lassen Sie es lieber nicht darauf ankommen, und sorgen Sie für möglichst viele geruhsame
Abende.
Reiselügen
Das Verreisen ist der Bereich des Lebens, über den die zweitmeisten Lügen verbreitet werden (auf
Platz 1 steht unverändert Sex). Wer nicht verreisen will, sieht sich Schmähungen und Witzen ausge-
setzt,nichtwenigenStubenhockernwirdgarderBesuchdesPsychiatersnahegelegt.BeigenauerBe-
trachtung verlieren die Vorwürfe allerdings an Kraft, und es wird offensichtlich, dass Reisefanatiker
und Reiseunternehmer hier eine unheilige Allianz eingegangen sind. Sie bestätigen sich gegenseitig
in ihrem Wahn und wollen jedem Menschen einreden, er sei nur vollständig, wenn er regelmäßig
an die exotischsten Orte der Welt fährt (z.B. Ecuador oder das Saarland). Wenn Sie ein glücklicher
Stubenhocker sein wollen, müssen Sie Argumente an der Hand haben, mit denen Sie die bröckelige
Beweiskette der Reisesüchtigen entkräften können:
»Reisen bildet«
Die Mutter aller Lügen. Kaum jemand fährt in den Urlaub, um wirklich etwas zu lernen. Die Reisen-
den, die so was behaupten, nehmen in Wirklichkeit nicht mal Bücher mit, weil die zu schwer sind
(höchstens Illustrierte). Das sind dann auch die Leute, die an ihrem Urlaubsort als Erstes Ausschau
nach einem Stückchen Heimat halten: Das ist auf den Balearen der Kiosk, der deutsche Boulevard-
zeitungen führt, und das ist auch in Feuerland der gleiche Kiosk, nur mit kleinerem Sortiment. Diese
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