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Weltkrieg zerbombt wurde (wahrscheinlich, weil die Stadt als Ziel nicht relevant war). Also wird in
der Nähe des Hauses ein Restaurant eröffnet und mit Steuernachlässen eine Drogerie angelockt, in
der Hoffnung, dass sich weitere Einzelhändler niederlassen. Bald schon eröffnen eine Bierbar, eine
Cocktailbar, eine Trinkhalle, noch eine Trinkhalle, eine Tankstelle, eine Kneipe, ein Getränkemarkt
undeineweitereTrinkhalle.DieumliegendenGebäude,vondenenzumindestdieGrundmauernnoch
vor dem Krieg gebaut worden sind, werden unter Denkmalschutz gestellt. Es wird das Poller-Prin-
zip angewendet und die Ecke zur Fußgängerzone deklariert. Die Region darf ab sofort offiziell »Alt-
stadt« genannt werden. In den Stadtarchiven wird verzweifelt nach Begebenheiten recherchiert, die
der Gegend mehr historischen Ballast geben. Bald hängen an jedem zweiten Haus in dieser »Alt-
stadt«grüneSchilder,aufdenenbeschriebenwird,wie1765jenerhalbberühmteDichtereinmaleine
Nacht in diesem Haus verbracht hat (bzw. im Vorgänger des aktuellen Wohnsilos), dass jenes Haus
1888 schon einmal unter mysteriösen Umständen abgefackelt wurde oder dass an dieser Stelle bis
1911 die städtische Jauchegrube stand.
Diejenigen,dieindieAltstadtkommen,interessierensichallerdingsnichtfürHinweisschilder,son-
dern für die unterschiedlichen Möglichkeiten alkoholischer Druckbetankung. In Düsseldorf wurde
deswegen sogar die Biersorte nach der Altstadt benannt - es erleichtert den Trinktouristen sowohl
den Bestellvorgang als auch die Identifikation mit der Trinkregion ihrer Wahl. Etwas weiter rhein-
aufwärts war das nicht möglich - bis auf einen Dom gab es dort nach dem Zweiten Weltkrieg nichts
mehr, also musste das Bier so genannt werden, wie man die Stadt mit zwei Promille ausspricht.
DieStädte, dietatsächlich nochganze alte Straßenzüge besitzen, sindangehalten, diese mit moder-
nen Glasfassaden und Stahlkonstruktionen so weit wie möglich zu verbergen, als wäre man von den
alten Gebäuden peinlich berührt. Sie wollen so modern wie nur möglich daherkommen, um hippe
Start-ups anzulocken.
Die Autobahnraststätte
EineguteAutobahnraststätteisteine,dieSienichtlangevonIhrerReiseabhält.Alsoisteineschlech-
te Autobahnraststätte, von der Sie so schnell wie möglich wieder verschwinden wollen, eine gute
Autobahnraststätte.
Viele von ihnen bemühen sich nach Kräften, Ihnen in dieser Hinsicht entgegenzukommen. Sie wir-
ken von außen, als hätten sie schon die Truppen auf dem Weg zur Ostfront verköstigt: dunkler Back-
stein,flache,fieseDächerundeineAußenanlagemitdemrustikalenCharmeeinesGefängnishofesin
Kasachstan. Innen wird es auch nicht besser: Das Essen an der heißen Theke wird angerichtet nach
dem Kochbuch »1001 Möglichkeiten, was Sie aus Bratwurst machen können«. Was Sie dann auf
IhremTellerfinden,istsokaltwiedasHerzderVerkäuferin,dieSieimDialektderjeweiligenRegion
runterputzt, wenn Sie sich erdreisten, mit einem großen Schein bezahlen zu wollen. Die Bestuhlung
wurde in der örtlichen Grundschule geklaut. Es gibt eine Petition, die Tapete unter Denkmalschutz
zustellen. Die Toilette imKeller ist römischen Ursprungs,wurdedamals abernurverwendet, umdie
Köpfe der gefangenen Germanen einzulagern, und so riecht es auch heute noch.
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