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Das Plakat war ein Vexierbild - ein Spiel mit dem Ekel einer Be-
rührung, die eben noch ein Manifest der Zuneigung gewesen war.
Und das im Land der Magyaren, wo der Kuss immer schon einen
besonderen Stellenwert hatte. »Kezét csókolom, elvtársnö« - »Küss
die Hand, Genossin«, in keinem Bruderland war die sozialistische
Dauerrevolution so formvollendet gelebt worden. Dabei hatte
sich die goldkordelgeschmückte Feschheit des kleineren Teils des
K.-u.-k.-Imperiums ungebrochen von der Monarchie über kurze
demokratische Anwandlungen in die nachfolgenden Diktaturen
gerettet. Egal, woran man gerade glaubte oder auch nicht, immer
küssten die Männer die Hand der Damen - zumindest angedeu-
tet -, und sie gingen nach wie vor auf der linken Seite, um, falls
ritterliche Verteidigung notwendig würde, sofort zum imaginären
Schwert greifen zu können.
Die altmodische Hölichkeit der Ungarn ist Charme und Fluch zu-
gleich, denn ein komplexer Kanon an Verhaltensregeln bestimmt
das tägliche Leben. Den, der sich auskennt, verschweißt er gerade-
zu mit diesem Land, in dem die Gastfreundschaft so hochgehalten
wird. Wer aber ohne Vorbereitung in die Donaurepublik kommt,
der wird unfreiwillig überwältigt von so viel Herzlichkeit, die jede
Distanz überwindet - auch die körperliche.
Der Handkuss ist dabei noch die einfachste aller Übungen. Ge-
küsst wird nämlich auch richtig, bei allen Gelegenheiten. Und so
wie die magyarische Küche eher auf bodenständige Qualität als auf
rafinierte Zutaten setzt, so meint ein Kuss keine angedeutete Geste
der Umarmung oder ein lüchtiges Hauchen auf die Wange. Ein
Kuss ist ein Kuss, ein Bekenntnis durch Hautkontakt, einerlei, ob
dabei das Make-up verschmiert oder die Bartstoppeln kratzen. Ob
sauber oder schmutzig, geputzt, herausgeputzt oder naturbelassen:
»Adj puszit«, gib einen Kuss, bekommen schon die Kinder zu hö-
ren, wenn Familien Besuch haben. Die widerspenstigen Kleinen,
die sich dem Ritual nicht unterwerfen wollen, werden einfach an
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