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Der Regisseur François Ozon inszenierte in seinem letzten Film In
ihrem Haus die Passion eines minderjährigen Schülers für die Mut-
ter eines Klassenkameraden. Im Interview mit einem deutschen
Fernsehsender wurde er gefragt, ob das nicht eine etwas delikate
Konstellation wäre. Ozon lächelte charmant und antwortete mit ei-
nem Augenaufschlag: »In Frankreich träumt jeder Schüler von der
Mutter seiner Freunde, ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist.«
Und heute?
Aber kann das Loblied auf die Konversation mehr sein als eine nos-
talgische Erinnerung an längst vergangene Zeiten? In denen angeb-
lich alle Männer noch Gentlemen waren und alle Frauen erobert
werden wollten? In denen man genug Zeit und Muße hatte, sein
Leben zu verplaudern? - Auf jeden Fall, denn man kann das Frank-
reich der Gegenwart nicht verstehen, ohne sich auch mit seiner
Konversationskultur zu befassen. Ob nun bewusst oder unbewusst.
Denn diese ist noch lebendig, auch wenn sie einem beim Reisen
durch Frankreich nicht sofort auffällt. Aber sobald man beispiels-
weise mit deutschen Hörgewohnheiten ein französisches Radio
einschaltet, überrascht einen doch, wie hemmungslos da durchein-
anderpalavert und vor allem, wie viel mehr dort gelacht wird. Das
Staatstragende fehlt, das leicht nervige Pathos. All das ist Erbe einer
Konversationskultur, die von jedem Beteiligten einfordert, in grö-
ßeren Runden gut gelaunt und voller Esprit zu sein.
Bei Talkshows im Fernsehen lässt sich das noch besser beobachten.
Es geht selbst bei politischen Debatten nie nur um die Argumente,
sondern auch darum, eine Pointe zu setzen oder mit einem sprach-
lichen Höhenlug Applaus zu ernten. Und der französische Film
erst! Jeder, der zum ersten Mal mit dem Werk eines Eric Rohmer
in Berührung kommt, wird wohl zunächst aufstöhnen: Was für ein
unendliches Gequatsche!
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