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Essais hat Montaigne seine Abhandlungen genannt, Versuche.
Versuche über die Wirklichkeit, über das Wesen des Menschen.
Er war der tiefen Überzeugung, die beste Art dem Leben auf die
Schliche zu kommen, bestehe darin, sich selbst auf die Schliche
zu kommen. Nur der, der lachend die Wahrheit über sich selbst
erträgt, beschreibt das Leben. Montaigne schrieb nicht darüber, wie
das Leben sein sollte, sondern wie es sich für ihn darstellte. Nicht
als Oberlehrer, sondern selbst als Lernender, der sich schreibend
den Phänomenen nähert, die er beschreiben will. Phänomene gibt
es reichlich im menschlichen Leben und so schreibt Montaigne
ebenso reichlich: über das Lachen, das Lesen, über die Liebe, die
Freundschaft und die Geselligkeit. Über das Essen und Trinken, ja
über das Tanzen und das Träumen genauso wie über eine gelassene
Haltung gegenüber dem Tod.
Montaigne hat in einer Art und Weise über die Dinge geschrieben,
die vielen seiner Leser - so auch mir - während der Lektüre das
Gefühl vermitteln, man habe diese selbst geschrieben, irgendwann
in einem vergangenen Leben. Montaigne vermochte es, so über
sein Leben zu schreiben, als sei es das seiner Leser, ja als sei es das
Leben selbst. Der Journalist Bernard Levin brachte diese besondere
Begabung einmal wunderschön auf den Punkt: »Wie konnte dieser
Mann all diese Dinge über mich wissen?« Und so sind die Essais
mehr als ein Buch. Sie sind ein treuer Begleiter zu (fast) allen Fragen
des menschlichen Lebens zu jeder Zeit des menschlichen Lebens.
Und das Schöne ist, Michel de Montaigne hat sich an drei Phäno-
menen versucht, die bestens geeignet sind, uns die Kunst des höli-
chen Reisens näherzubringen: über die Einstellung zu den Dingen,
über die Macht der Gewohnheit und über das Reisen selbst.
Beginnen wir mit der Einstellung zu den Dingen. Montaigne war
regelrecht begeistert vom Aphorismus des griechischen Philoso-
phen Epiktet, wonach es nicht die Dinge selbst seien, die uns be-
unruhigen, sondern die Meinung, die wir von den Dingen hätten.
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