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Doch in diesen Kategorien fühlt sich die Hölichkeit nicht wohl.
Ihr geht es darum, Distanzzonen zu wahren. Sie ist nicht willens,
Gefahr zu laufen, sich und andere mit der eigenen ehrlichen Au-
thentizität zu überfordern. Sie hält Grenzen im gemeinsamen Um-
gang für unerlässlich, Grenzüberschreitungen sind ihr ein Dorn im
Auge. Und so ruft sie Goethes Studenten entgegen: »Es stimmt, in
Deutschland gibt es Menschen, die sagen, man lüge, wenn man
hölich ist, aber im Rest der Welt geht man Menschen gehörig auf
die Nerven, wenn man grenzüberschreitend und distanzlos ist!«
Ich möchte daher allen rüpelhaften Moralisten, die die Hölichkeit
vorschnell der Lüge bezichtigen, Arthur Schopenhauers Parabel
von den Stachelschweinen ans moralische Herz legen:
»An einem kalten Wintertage rottete sich eine Horde Stachel-
schweine zusammen, um einander zu wärmen. Doch je mehr sie
zusammenrückten, desto mehr empfanden sie die gegenseitigen
Stacheln, so dass sie wieder auseinanderrückten. Dies taten sie
so lange, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausge-
funden hatten, in der sie es aushalten konnten. Diese nannten sie
Hölichkeit und feine Sitte.«
Der schöne Schein des Stachelschweins -
Distanz wahren, um Nähe herzustellen
Die Hölichkeit erleichtert den gemeinsamen Umgang ungemein,
da sie über zwei herausragende Talente verfügt: Sie befriedigt gleich-
sam das menschliche Bedürfnis nach Nähe als auch jenes nach Dis-
tanz. Sie stellt ein Gleichgewicht her, eine Balance, die einem weder
stechende Schmerzen bereitet noch erfrieren lässt. Sie geht auf Ab-
stand, um Nähe herzustellen. Die Hölichkeit sorgt dafür, dass das
Miteinander Freude bereitet und erstrebenswert ist. In Abgrenzung
zu Etikette und Anstand, die den Umgang untereinander über-
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