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schmacksideal der »appropriateness«, der makellosen Angemes-
senheit, setzt natürlich auch strikte Maßstäbe für Körperlichkeit,
den Umgang mit dem Körper und seinen Äußerungen, und den
Körperkontakt. Diese Maßstäbe sind leitend auch für die Midd-
le Class und führen insgesamt dazu, dass die Bewohner des Verei-
nigten Königreichs auch und gerade körperlich überaus reserviert
sind. Wir werden darauf zurückkommen (und ebenfalls darauf
eingehen, dass dies bei den Amerikanern unter Umständen etwas
anders aussieht). Aus dieser körperlichen Reserviertheit sollte al-
lerdings nicht auf übermäßige Verschämtheit geschlossen werden.
Schon gar nicht für die Upper Class. Oder, wie Nancy Mitford es
mit entzückender Prägnanz ausdrückt: »Scham ist ein bourgeoises
Konzept.« Die Angehörigen der Upper Class sind dagegen weitest-
gehend immun gegen Scham. Sie sagen nicht »Pardon?«, wenn sie
ihr Gegenüber nicht verstanden haben, sondern: »What?« Sie sa-
gen auch nicht »Pardon!«, wenn sie beim Vorübergehen jemanden
versehentlich touchieren, sondern: »Sorry!« Sie sagen auch nicht
»Pardon!«, nachdem sie einen Schluckauf bekamen, sondern: gar
nichts. Letzteres ist ein Indiz auf die allgemeine Richtlinie in Bezug
auf Körpergeräusche, zu denen ja beispielsweise auch das Niesen
und Husten gehört. Die korrekte, also angemessene Reaktion da-
rauf ist: das Ignorieren. Nicht ohne Grund ist das übrigens auch
die Oberrichtlinie von Buckingham Palace bei Protokollverstößen
(die bei nervösen Untertanen im Umgang mit ihrer Königin an der
Tagesordnung sind): ignorieren - ignorieren - ignorieren. Das wäre
auch schon meine erste Vorab-Empfehlung für die Hygiene-Um-
gangsform in der angelsächsischen Welt - und für die Umgangs-
form überhaupt, im Sinne einer Fall-back-Option: jeden Fauxpas
im Zweifel ignorieren (sogenanntes IZI-Prinzip). Damit setzen Sie
einfach das in die Tat um, was Nancy Mitford als letzte Möglichkeit
der Aristokratie bezeichnet hat: Schweigen.
Doch es zeigt sich eben bereits auch hier, dass bei Fragen von
Manieren und Körperfunktionen immer zwei Aspekte ineinan-
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