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litischen Versuchs, die Existenz der Aboriginevölker zu beenden.« Damals wur-
de im Bundestaat New South Wales jedes dritte Aboriginekind den Eltern weg-
genommen. Die Behörden interessierten sich vor allem für hellhäutigere Kinder
oder Mischlingskinder.
Die ihren Familien entrissenen Kinder bekamen eine zumeist nur notdürfti-
ge Ausbildung in oft überfüllten staatlichen und kirchlichen Heimen und wur-
den dann auf Farmen oder in die Städte verschickt. Die Jungen arbeiteten als
Farmarbeiter, die Mädchen als Dienstmädchen. Bezahlt wurden sie dafür sel-
ten. Sie arbeiteten für Nahrung und Unterkunft. Viele wurden rücksichtslos
ausgebeutet oder körperlich und sexuell missbraucht. Nur wenige hatten das
Glück, in gut geführte Heime und liebevolle Familien zu kommen.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Einstellung der austra-
lischen Gesellschaft allmählich. Wider Erwarten gab es die Aborigines immer
noch. Sie waren nicht ausgestorben. Viele hatten es geschafft, selbst in den
elendsten Reservaten und Slums einen Teil ihrer uralten Kultur zu erhalten.
Hunderte junge Aborigines hatten in beiden Weltkriegen für Australien ge-
kämpft, obwohl sie nicht als australische Staatsbürger galten. Sie durften in Zu-
kunft ihre Kinder behalten. Den anderen wurden die Kinder weiterhin wegge-
nommen. Nun allerdings nicht mehr, um ganze Völker genetisch verschwinden
zu lassen, sondern um sie den europäischen Lebensweisen anzugleichen. Erst
Ende der 1960er Jahre wurde die Assimilierungspolitik offiziell beendet. Doch
noch immer wurden Tausende Aboriginekinder von ihren Familien getrennt -
nun durch die australischen Wohlfahrtsbehörden.
Pauline Macleod war eines dieser Kinder. Als ich sie zum ersten Mal traf, er-
zählte sie auf der Bühne eines Kunstmuseums die Dreamtime -Geschichte von
der »kleinen schwarzen Schlange«. Meine Tochter hörte ihr begeistert zu, eben-
so die anderen Kinder und Erwachsenen. Pauline liebte ihre Aufgabe, war leb-
haft, mit viel Humor und Sinn für das Lächerliche, bezog ihr Publikum in ihre
Geschichten ein, forderte es heraus und vermittelte gleichzeitig einen Einblick
in die Kultur der Aboriginevölker der Region. Sie war eine ausgezeichnete Er-
zählerin. Fast alle Kinder kannten sie aus einer Kinderserie im australischen
Fernsehen. Sie wirkte selbstbewusst und kraftvoll.
Ein Jahr später traf ich Pauline wieder. Sie wohnte in einer kleinen Wohnung
nicht weit von uns. Wir tranken Tee und aßen dazu deutsche Lebkuchen. Pauli-
ne liebte deutsches Essen. Sie war damit aufgewachsen. Als Zweijährige war sie
von ihrer leiblichen Mutter und ihren vier Brüdern getrennt worden. Sie und
ihre Schwester wurden von einem deutschstämmigen Ehepaar adoptiert. »Mut-
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