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so. Die Meldung des Massakers erreichte den damaligen Gouverneur von New
South Wales, George Gipps. Er sah sich als »Bastion britischen Rechts in der
weitgehend gesetzlosen Kolonialgesellschaft« und ordnete eine gründliche Un-
tersuchung des Vorfalls an. Elf Männer wurden festgenommen. Doch die örtli-
che Bevölkerung war gegen die Verhaftung. Der Hauptzeuge wurde bedroht. Er
musste unter Polizeischutz nach Sydney reisen. Der aufrechte Vormann, der die
Behörden über das Massaker informiert hatte, verlor seinen Job. Am 15. No-
vember fand der Prozess gegen die elf weißen Männer statt. Die Beweislage war
eindeutig. Doch der Druck der öffentlichen Meinung war so massiv, dass sich
der Richter genötigt sah, der Jury noch einmal zu erklären, dass das Leben ei-
nes Schwarzen vor den Augen des Gesetzes genauso wertvoll sei wie das des
höchsten Adeligen im Land. Dennoch sprach die Jury nach nur 15-minütiger
Beratung alle elf Männer frei. Das Publikum im Gerichtssaal applaudierte be-
geistert. Der Gouverneur war entsetzt. Er strengte ein neues Verfahren gegen
sieben der Männer an. Sie wurden zum Tode verurteilt. Vor ihrer Hinrichtung
gestanden sie und sagten, sie hätten nicht gewusst, dass es illegal sei, Abori-
gines zu töten, schließlich sei die Jagd auf Aborigines ein »verbreiteter Sport«
auf dem Lande. Die Öffentlichkeit unterstützte die Angeklagten: In einem Brief
an die Zeitung The Australian schrieb ein Leser aus Melbourne: »Für mich
sind die Schwarzen alles Affen, und je früher sie ausgerottet werden, desto
besser. Ich würde niemals erlauben, dass ein weißer Mann für den Tod eines
Schwarzen gehängt wird.« Massaker an »hinderlichen« oder »aufständischen«
Schwarzen fanden noch bis Ende der 1920er Jahre statt. Dann hörten sie auf.
Es gab nur noch wenige Ureinwohner.
Dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte war den meisten Australiern bis Ende
der 1980er Jahre völlig unbekannt. Mein Mann, ein kritischer australischer
Journalist, hatte in der Schule und während seines Studiums nichts darüber ge-
lernt. In seinem Geschichtsbuch gab es nur knapp zwei Seiten über die Urein-
wohner Australiens.
Heute lernen australische Kinder mehr über die Kultur und die Geschichte
der australischen Urbevölkerung. Doch dieser Unterricht ist umstritten. Indige-
ne Historiker schreiben inzwischen über ihre eigene Geschichte, und indigene
Kommentatoren klagen Australien des versuchten Völkermords an der Urbe-
völkerung an. Konservative australische Historiker und Journalisten werfen ih-
ren linken Kollegen wiederum vor, die Geschichte zu verzerren, falsche Schwer-
punkte zu setzen und zu übertreiben. Sie werten sie als Bleeding Hearts , »blu-
tende Herzen«, ab. Der langjährige konservative Premierminister John Howard
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