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Bemalung von Körpern, Musikinstrumenten und Werkzeugen dienen oft auf ei-
ner Ebene als Landkarte, helfen zum Beispiel dabei, lebensrettendes Wasser zu
finden. Auf einer weiteren Ebene vermitteln oder erklären die mit den Gemäl-
den verbundenen Mythen Religion, Gesetze und Verhaltensregeln. Ursprüng-
lich benutzten die Urvölker Australiens natürliche, aus Erden und Pflanzen ge-
wonnene Farben: Ocker, Weiß, Rot und Rußschwarz. In den 1970er Jahren
brachten Lehrer und junge Aktivisten Acrylfarben und Leinwand auch in die
abgeschiedenste Wüstensiedlung.
Yuendemu ist eine solche Siedlung rund 300 Kilometer außerhalb von Alice
Springs, mitten in Zentralaustralien. Die Straße dorthin ist an vielen Stellen ei-
ne reine Staubpiste mit riesigen Schlaglöchern und vielen weichen Stellen, in
der selbst ein Allradfahrzeug ins Schwimmen geraten kann. In Yuendemu leben
heute etwa 1000 Menschen, die meisten vom Volk der Walpiri. Viele sind be-
gabte Maler.
Alma Nungarrayi Granites arbeitet in der Galerie der Warlukurlangu Künst-
lerkooperative, einem einfachen Flachbau mit Betonveranda und ein paar
großen Arbeitstischen. Sie hat ihre meterbreite Leinwand über einem Tisch aus-
gebreitet. Staffeleien gibt es nicht. Drei weitere Frauen teilen sich den engen
Raum mit weit geöffneten Fenstern und Türen, durch die der Wüstenwind
weht. Zwei Malerinnen unterhalten sich leise, während sie eine Grundierung
auf ihre Leinwand auftragen. Alma Nungarrayi Granites arbeitet still und kon-
zentriert mit sicheren Pinselstrichen und einem dünnen Stock, mit dem sie die
kleinen Farbtupfer aufträgt, für die die Wüstenmaler Australiens berühmt ge-
worden sind: Dunkelblau, Weiß, etwas Rot, eine Spur Rosa, Gelb, Schwarz. Es
entsteht ein tiefer Blick in das Universum. Alma arbeitet systematisch, hat ihre
Gesamtkomposition fest im Kopf verankert. Erst als sie eine Ecke des Gemäldes
mit mehreren Lagen winziger Tupfen und Striche bedeckt hat, blickt Alma auf,
lächelt mich an und fragt: »Möchtest du eine Tasse Tee?« Mit einem dampfen-
den Becher in der Hand erklärt die Malerin ihr Werk: »Das ist mein Dreaming ,
die Traumzeitgeschichte der sieben Schwestern, die sich in Sterne verwandeln,
um Jakamarra zu entkommen, der sich in sie verliebt hat. So leben sie heute,
für immer zusammen, wie sie es wollten. Sie sind die Plejaden, und Jakamarra
ist der Morgenstern, der sie immer noch verfolgt, aber nie einholen kann.« Al-
ma Nungarrayi Granites hat ihr Dreaming von ihren Vorfahren überliefert be-
kommen. Über Jahrtausende haben sie die Geschichte der sieben Schwestern
erzählt und dabei Gemälde in den Sand gemalt. In Alma setzt sich diese Tradi-
tion fort, doch sie hat ihre eigene künstlerische Ausdrucksform gefunden. »Ich
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