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man sich herausgeputzt zu Sekt, Bier und - ja, auch hier zum Picknick auf dem
grünen Rasen. Wem es zu mühsam ist, sich im engem Minirock und mit ho-
hen Absätzen auf einer Decke niederzulassen, oder wer das Gedränge vermei-
den möchte, der geht zum formellen Lunch auf die klimatisierte Tribüne oder
zieht sich in eines der opulent mit Blumen, Chiffon und Seide geschmückten
VIP-Zelte finanzkräftiger Unternehmen zurück. Für viele Geschäftsleute ist der
Melbourne Cup eine hervorragende Chance für intensives Networking. Andere
wollen einfach nur Spaß - auch karnevalesken - haben: junge Männer in Da-
menroben, eine junge Frau mit einem meterhohen, selbstgemachten Hut aus
Papier, Seide, Rüschen und geschmackvoll verteilten Kirschen, ein Blitzer, der
schnell entfernt wird, oder die Gruppe nicht zu identifizierender gelber und
weißer Riesenhühner, die fröhlich über den grünen Rasen tanzen.
Das Melbourne Cup Pferderennen ist eines der ältesten gesellschaftlichen
Ereignisse in Melbourne. 1861 setzten erfolgreiche Goldsucher zum ersten Mal
Geld auf Pferde, 2013 verwetteten die Australier 90 Millionen Dollar bei dem
Rennen. Selbst völlig Uninteressierte können sich dem Spektakel nicht entzie-
hen. Spätestens in der Woche davor fragt in Fernsehen und Radio jeder Repor-
ter jeden Interviewpartner, auf welches Pferd er oder sie am Cup Day setzen
wird, egal, worum es eigentlich bei dem Interview geht. Politiker und beson-
ders der Premierminister müssen sich wenigstens mit den Pferden und mög-
lichst auch den bekanntesten Trainern und Jockeys auskennen, wenn sie nicht
als Ignoranten vor ihren Wählern stehen wollen. Vor vielen Jahren war ein jun-
ger Vollblutfuchs mit dem Namen Saintly, Heilig, im Rennen. Der katholische
Erzbischof setzte verständlicherweise auf dieses Pferd. Der ranghöchste Angli-
kaner setzte hingegen auf den Favoriten, der auch von einer christlichen Sekte
angefeuert wurde, weil ihr Pfarrer das Pferd in einer Vision als Sieger gesehen
hatte. Die Sekte setzte ihr ganzes Erspartes in diesem Rennen. Saintly und die
Katholiken gewannen.
Melbournians sind stolz darauf, dass ihre Stadt im Gegensatz zu Sydney von
freien Siedlern gegründet wurde. Allerdings war die Siedlung in Port Phillip Bay
anfangs eher eine große Schaffarm. Doch als Mitte des 19. Jahrhunderts der
Goldrausch begann, eilten Menschen aus aller Welt nach Melbourne, der spä-
teren Hauptstadt der neuen britischen Kolonie Victoria. Viele von ihnen kamen
aus Amerika und China. Im Hafen von Melbourne kamen die Schiffe mit im-
mer neuen Abenteurern und der nötigen Ausrüstung und Maschinerie für die
Goldsucher an. Die Bevölkerung der neuen Kolonie vervierfachte sich. Die eins-
tigen Abenteurer etablierten sich mit ihrem Gold als brave Geschäftsleute, und
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