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gerte sich kurzerhand, die Geretteten aufzunehmen. Stattdessen bekam Rinnen
Besuch von schwarz vermummten Soldaten einer australischen Spezialeinheit,
die das Kommando auf seinem Schiff übernahm. Ich erinnere mich noch gut an
die Entrüstung und die staunende Wut in der Stimme Rinnens, als ich ihn kurz
davor über Funk interviewte. Diese Reaktion hatte er von »einem zivilisierten
Land nicht erwartet«.
Die Weltöffentlichkeit war ebenso verwirrt. Kaum ein Jahr zuvor hatte sich
Australien der Welt bei den Olympischen Spielen als ein weltoffenes, gast-
freundliches und warmherziges Land präsentiert. Die Bilder von den sich aus
Hubschraubern auf das Deck des Schiffes herunterhangelnden Spezialeinheiten
und den sich duckenden Menschen an Bord passten dazu ebenso wenig wie die
grimmige Versicherung Howards, die Asylbewerber würden niemals australi-
schen Boden betreten. Drei Viertel aller Australier stimmten ihm zu. Dagegen
wollte sich auch die Labor-Opposition nicht stemmen und schloss sich eben-
falls Howards Politik an. Nach mehreren Tagen intensiver Diplomatie hatte Ho-
ward eine Lösung gefunden. 150 Familien wurden vom kleinen Nachbarn Neu-
seeland aufgenommen. Die restlichen 300 Menschen wurden auf den Inselstaat
Nauru geschickt, der wirtschaftlich auf Australien angewiesen ist.
Das war die Geburt der »pazifischen Lösung«. Von nun an wurden »illegale
Ankömmlinge« aus der fiktiven weltweiten »Warteschlange von Flüchtlingen«
nicht mehr nur in mit Stacheldraht umgebenen Lagern in abgelegenen Gegen-
den Australiens festgehalten, sondern weiter nach Nauru und später nach Ma-
nus Island, einer Insel des womöglich noch ärmeren Nachbarn Papua-Neugui-
nea, verfrachtet. Die Zahl der Bootsflüchtlinge ging in den folgenden Jahren ra-
pide zurück. In den Lagern auf dem australischen Festland und auf den Inseln
kam es zu gewaltsamen Protesten gegen die mitunter jahrelange Bearbeitungs-
zeit für Asylanträge, die alle Asylsuchenden, auch Kinder, hinter Gittern ver-
bringen mussten. Bilder von Insassen mit zugenähten Lippen oder im Stachel-
draht hängenden Körpern gingen um die Welt.
Dann entdeckten Journalisten, dass in der Hysterie auch Menschen in die
Lager gesteckt wurden, die gar keine Asylbewerber waren. Darunter war auch
eine Deutschaustralierin, Cornelia Rau, die psychisch krank von der australi-
schen Polizei aufgegriffen und irrtümlich als illegale Einwanderin ohne jeden
richterlichen Entscheid erst in ein australisches Gefängnis und dann in das be-
rüchtigte Wüstenlager Baxter gesteckt wurde. Sie verbrachte dort zehn Monate,
in denen ihre Krankheit weder diagnostiziert noch behandelt wurde. Erst als sie
mit einer schweren Psychose in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste,
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