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auch meine Kraft. Ich fühle mich plötzlich unverständlich stark. Meine Beine, die noch vor
wenigen Stunden wie Wackelpudding Schritt für Schritt vom Berg abwärts gezittert haben,
gehorchen zunehmend meinen Befehlen und geben mir wieder Stabilität. Meine Lunge, die
gerade noch am Gipfel wie bei einem Kettenraucher geächzt hat, durchströmt nun herrlich
frische Luft und zieht den Sauerstoff bis in die letzte Zelle meines Körpers. So muss das
sein. So und nicht anders, denke ich mir. Ähnlich wie ein Olympiasieger bei seiner Ehren-
runde, der durch das Stadion läuft und der ganzen Welt seine Medaille präsentiert, präsen-
tiere ich meine wiedergewonnene Stärke. Laufe festen Schrittes an Teilnehmern anderer
Touren vorbei. Springe von Stein zu Stein. Selbst Gasper, dem ich bisher mehr ein Klotz
am Bein war, hat Mühe mir zu folgen. Woher ich plötzlich diese Energie habe? Ich weiß es
nicht, aber ich bin wie berauscht. Bin wie im Flow und irritiert zugleich. Irritiert über das
fast schon schizophrene Treiben meines Körpers am Kilimandscharo, der einmal stark und
unbezwingbar, allen Widrigkeiten zum Trotz, frech den Mittelfinger zeigt, ein anderes Mal
wieder schwach, verletzlich und der Natur wie ein Neugeborenes schutzlos ausgeliefert ist.
Aber wie passt das zusammen? Und ich finde nur eine unbefriedigende Antwort: ganz und
gar nicht.
Nach vier statt der angekündigten zweieinhalb Stunden, erreichen wir das Mweka Camp .
Es liegt auf „läppischen“ 3.120 Metern und befindet sich voll und ganz in der Hand der
Natur. Das gesamte Camp besteht nur aus großen, grünen Bäumen und dichten, undefini-
erbaren Sträuchern, die undurchdringlich und anziehend mystisch erscheinen. Inmitten
dieses Urwaldes sind die einzelnen Zelte aufgeschlagen. Einfach links und rechts eines
leicht abschüssigen Pfades, der von Menschenhand akribisch genau und wie an einer Sch-
nur gezogen, in den dichten Urwald geschlagen wurde. Die Zelte stehen direkt zwischen
diesen riesigen Sträuchern, die sich über unseren Köpfen wieder miteinander vereinen
und damit das Tageslicht größtenteils vom schwarzen, fruchtbaren Boden fernhalten. Nur
wenige Meter neben den bunten Zelten beginnt unverhohlen die unberührte Natur, die ein
Eindringen fast unmöglich macht… die das Tageslicht völlig schluckt und mit ihrer Un-
durchschaubarkeit eine sehr geheimnisvolle Wirkung auf mich ausübt. Für mich persön-
lich das schönste Camp auf der gesamten Tour. Die Aussicht ist zwar sehr bescheiden,
aber dafür ist es so als würde man direkt im Dschungel zelten. Überall dampft es und
der verlockende Geruch von Essen durchströmt das Camp. Mir fällt auf, dass ich alles
andere als verlockend dufte. Kein Wunder, nach über fünf Tagen ohne Dusche. Und so
beschließe ich erst einmal, all meine Klamotten zu tauschen und mich mit einer Katzen-
wäsche wieder halbwegs riechbar zu machen. Gar nicht so einfach, wenn dein einziges
Stück Kernseife irgendwo im Schnabel eines gierigen Geiervogels verschwunden ist. Ich
versuche es trotzdem und ernte ungläubige Blicke unter den Trägern und Guides der um-
liegenden Zelte. Komisch, vielleicht gibt's da ja irgendeinen Verhaltenscodex in Tansania,
den ich nicht kenne. Zumindest mein Zeltnachbar fühlt sich durch meinen Striptease ani-
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