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eine Stunde Rast mehr für mich aus. Genau so viel Zeit wie maximal möglich ist, um noch
sicher vor Einbruch der Dunkelheit beim Mweka Camp anzukommen. Ein Ergebnis, mit
dem wir beide gut leben können. Ich trinke noch zwei Tassen Tee, löffele die Suppe leer
und esse drei Happen Reis, bis mir diese schon fast wieder hochkommen. Dann lege ich
mich zum Schlafen hin.
Eine Stunde schlafe ich wie ein Toter. Wache nicht einmal zwischendurch auf. Erst als
Gasper in mein Zelt kommt, werde ich aus meinem traumlosen Schlaf gerissen, stehe
ohne Murren und ohne Diskussion auf und verlasse das Zelt. Drei Minuten später sind
wir wieder unterwegs. Ich gebe wie abgesprochen das Tempo vor und die Stimmung, die
im Abstieg zum Barafu Camp zeitweise auf arktische Temperaturen zwischen meinem
Guide und mir gesunken war, wird wieder deutlich besser. Auch, weil ich mich wieder ber-
uhigt und erkannt habe, dass ich in dieser beschissenen Situation, in der ich mich befand,
wahrscheinlich einfach nur einen Schuldigen gesucht und auch dankbar in meinem Guide
Gasper gefunden habe. Aber anscheinend ist Gasper genauso wenig nachtragend wie ich.
Zudem haben die Stunde Schlaf und das bisschen Essen wahre Wunder bewirkt. Freunde,
die mich gut kennen, können das bestätigen: Einem müden und hungrigen Stefan kom-
mt man vorsichtshalber nicht in die Quere. Nicht, dass es mir auf einmal blendend gehen
würde, im Gegenteil, ich stehe immer noch auf recht wackligen Beinen und in meinem
Schädel donnern die Kolben der alten Diesellok unerbittlich laut. Aber mit jedem Höhen-
meter, den ich absteige, geht es mir etwas besser. Ich spüre richtig, wie die Kraft lang-
sam in meinen Körper zurückkehrt. Spüre, wie der Druck und die Kopfschmerzen langsam
abnehmen. Spüre, wie der Kilimandscharo seinen festen Griff um meinen zerbrechlichen
Hals Millimeter für Millimeter lockert. Ein echt beruhigendes Gefühl. Und all die Zweifel,
die ich noch vor kurzem für einen weiteren Abstieg zum Mweka Camp hatte, haben sich
in Wohlgefallen aufgelöst. Das energische Drängen Gaspers und unsere Entscheidung, das
Barafu Camp heute noch zu verlassen, waren definitiv richtig. Das Schönste ist aber, dass
ich jetzt endlich wieder die außergewöhnliche Natur wahrnehmen kann. Die Anspannung
und die Erwartungshaltung an mich selbst sind plötzlich wie weggeblasen. Leicht und be-
freitschreite ichMeter umMeter überdieses einmalige Fleckchen Erde.Jetzt erstrealisiere
ich richtig, was in den letzten Tagen alles passiert ist. Was ich alles erreicht habe. Jetzt erst
genieße ich langsam wieder meine Tour auf dem Kilimandscharo. Ganz ohne Druck und
ohne diese alles überschattende Ungewissheit, die der Gipfel mit sich bringt. Ein Druck,
der mich psychisch gelähmt hat und die Luft zum Atmen nahm. Jetzt endlich kann ich
wieder frei und unbeschwert durchatmen.
Unser Weg führt mich über große steinige Felder mit ausgedörrten Böden. Doch umso
tiefer wir kommen, umso reichhaltiger wird auch die Vegetation. Wilde Gräser, Heidekraut
und Sträucher säumen die Pfade. Mit der Vegetation, die immer mehr zurückkehrt, kommt
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