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Mittwoch - Tag 3 am Berg: Der Lava Tower und das Barranco Camp
Kurz vor sechs Uhr treiben mich die Fluten an Tee, die ich diese Nacht in mich geschüttet
habe, raus aus meinem wärmenden Schlafsack und hinein in die kalte, farblose Dunkelheit
der Bergnacht. Während das Lager noch in einen schwarzen Mantel gehüllt ist, ist am öst-
lichen Horizont schon ein blauer Himmel hinter einem gewaltigen Bergrelief zu sehen: der
Kibo . Zentimeter um Zentimeter erhebt sich die Sonne auf der Nordseite des Kibos , als
dieser noch seinen riesigen Schatten über das Lager wirft. Welch fesselnder Sonnenaufgang,
bei dem man richtig merkt, wie die sommerlichen Strahlen der Sonne das Camp aus seinem
Märchenschlaf erweckt. Ich stehe einfach nur still da und genieße. Genieße das einzigartige
Schauspiel, bis die schneebedeckten Hänge des Kibos in voller Pracht zu sehen sind. Wow,
für mich das erste Mal, dass ich mein Ziel direkt vor Augen habe. Bisher konnte ich nie ein-
en Blick auf den Gipfel werfen, der sich in den letzten Tagen wie ein scheues Reh hinter
einem dichten, jungfräulichen Wolkenschleier versteckte. Doch jetzt ist das Versteckspiel
vorbei. Jetzt sehe ich, wohin mein Weg mich führt. Doch das was ich sehe, ist wenig ang-
steinflößend. Nichts weiter als ein hübsch anzusehender, schneebedeckter Hügel, der aus
der Ferne betrachtet zu einem gemütlichen Sonntagnachmittagsspaziergang einlädt. Kaum
zu glauben, dass der Gipfel noch 2.055 Höhenmeter entfernt sein soll: scheint machbar.
Aber wenn ich eins bereits aus den Erlebnissen des letzten Tages unangenehm gelernt habe,
dann, dass ich die Klappe lieber nicht zu weit aufreißen sollte. Dass mich die Höhe ziemlich
schnellundunsanftaufdenBodenderTatsachenzurückholenkannundesden Kibo herzlich
wenig interessiert, wenn ihn ein Flachlandfuzzi aus Germany für ein hübsch anzusehendes
Sandkörnchen in der weiten ostafrikanischen Steppe hält. Dabei werde ich das Gefühl nicht
los, dass ich hier nur Gast auf Zeit bin. Ein ungebetener Gast, den man nur duldet und auch
schnell und ohne viel Tamtam vor die Tür setzen kann.
Hasani stellt mir eine Schüssel heißes Wasser hin. Der einzige Luxus bei dem sonst recht
spartanischen Lagerleben. Also genieße ich die Annehmlichkeiten und widme mich meiner
morgendlichen Körperpflege, als in einem Moment der Unachtsamkeit drei Geierraben her-
unterstürzen, von denen einer mit meinem einzigen Stück Kernseife im Schnabel stolz dav-
on fliegt. Diese frechen, respektlosen, schwarzen Viecher mit ihrem weißen Punkt im Nack-
en. Bestimmt ist das der gleiche blöde Vogel, der mir gestern die Erdnüsse gestohlen hat.
Aber diese fette Beute wird ihm sicherlich wenig Freude machen. An dieser Seife wird er
noch lange zu verdauen haben. Wohl bekommt's, du alter Weißnacken, und auf Nimmer-
wiedersehen!
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