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Dienstag - Tag 2 am Berg: Das Shira Plateau
Der Wecker meiner Armbanduhr reißt mich zurück in die Gegenwart. Es ist sechs Uhr.
Der Schlafsack ist klamm. In meinem Gesicht schmerzt der formschöne Abdruck meiner
Rucksackschnalle. Meine Blase drückt. Dem Ruf der Natur folgend, öffne ich die Zeltplane
und besuche unser externes WC nur ohne W. Da ich anscheinend der einzige bin, der
die Anweisung „um sechs Uhr aufzustehen“ ernstgenommen hat, kann ich mich eines fast
menschenleeren Lagers erfreuen. Selbst die Träger, Köche und Bergführer anderer Touren
liegen noch in ihren Zelten. Also nutze ich die Zeit und erkunde das Lager, während über
meinem Kopf große schwarze, mir unbekannte Vögel mit wenigen Flügelschlägen fast
geräuschlos hinweg gleiten, bevor sie wieder im Weiß der dichten Nebelschwaden ver-
schwinden. Auf einer kleinen Anhöhe bleibe ich stehen, vergrabe meine Hände in den
Hosentaschen und inhaliere mit einigen tiefen Atemzügen die Kilimandscharo-Morgen-
luft. Sie ist herrlich frisch und durchzogen von Feuchtigkeit. Herrlich frische, lungendurch-
flutende Luft - das scheint ein Signal für meinen Körper zu sein. Mit einem kräftigen, mark-
erschütternden Husten würge ich dicken gelblich grünen Bronchialschleim hoch, um diesen
zugleich in die dann nicht mehr ganz so unberührte Natur zu spucken. Widerlich. Das ist
dann wohl nachträglich ein Andenken an die letzten ereignisreichen Tage auf Safari, die ich
im Freien übernachtet habe und die anscheinend nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen
sind. „Gesund kann jeder“ beschließe ich mit einer gehörigen Portion ironischem Selbsts-
chutz und schlendere weiter über eine kleine Lichtung. Dabei bemerke ich, dass der Regen
der letzten Nacht den Boden aufgeweicht und das Lager teilweise in eine rutschige Schlam-
mpampe verwandelt hat. Zum Glück habe ich Experte gerade meine dünnen, weißsohligen
Turnschuhe an und stapfe damit durch die dunkle, schwere Erde. Dabei ärgere ich mich über
den Typen, der im Internetreiseführer geschrieben hat, dass man leichtes Schuhwerk für die
Freizeit im Camp einpacken soll und über mich, weil ich darauf gehört habe. Mit schlam-
mverschmierten und nassen Schuhen setze ich meinen Rückweg zum Zelt fort und werde
wieder von einigen anmutigen Vögeln begleitet, die krächzend im Sinkflug über mir hinweg
segeln. Mittlerweile erwacht auch das Lager langsam aus seinem Dornröschenschlaf und die
italienische Altherrencombo, die ihre Zelte neben meinem aufgeschlagen hat, verlässt mit
leichtzerknittertenGesichternundeinerüberlebenswichtigenKlopapierrolleunterdemArm
die Zelte.
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