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Rattenschwänze reisen um die Welt
Dieser Artikel erschien am 20.8.1940 in der „Münchener Zei-
tung“, recht romantisch aufgemacht und nicht in jeder Bezie-
hung realitätsnah. Obwohl die Praxis mit den Rattenschwänzen
durchaus früherem Usus entspricht, hat man dem bayerischen
Reporter mit der Expressreise der Flasche von Madagaskar nach
Juist wohl einen dicken Bären aufgebunden. Außerdem hat man
sich im Datum offenbar um 100 Jahre versehen. Was auch im-
mer: Ein Großabdruck der Story und die dazu gehörige Buddel
mit den Rattenschwänzen sind im Küstenmuseum Loog ausge-
stellt und finden unter den dortigen Exponaten primäre Bewun-
derung.
„Jahr für Jahr, wenn Orkane, Taifune und die schweren Nord-
weststürme über die sieben Meere der Welt stürzen, fordert das
Meer auch außerhalb kriegerischer Aktionen seine Opfer. Die
letzten Zeugen von vielen Schiffen aller Nationen sind das
Strandgut. Schiffsbalken, Ladungsteile, Habseligkeiten der See-
männer aus den Kombüsen sind es, die vom Meer wieder em-
porgewirbelt, auf die Reise gehen. Oft reitet dann eine Kiste, die
für Tasmanien bestimmt war, eine Streichholzschachtel aus der
Offiziersmesse jahrelang auf den Wogen der Ozeane umher;
die Meeresströmungen, deren Rätsel immer noch nicht ganz
von der Forschung gelöst sind, peitschen die Wrackstücke nach
langen Irrfahrten in andere Meere, tragen etwa das im Golf von
Mexiko abgetriebene runde Gummistück einer versunkenen La-
dung ums Kap oder durch den Suezkanal. So schwimmt es mit
dem Golfstrom oder anderen Strömungen um die Erde. Auf der
Insel Juist hat man diese an den Strand gerollten Wrackstücke
gesammelt und in einem Museum vereinigt. Es ist ein wunderli-
ches Zeug, was da nach den Stürmen zusammenkommt.
Was ist da nur für ein Glas mit dem merkwürdig aussehenden
Inhalt? Der Fischer, der das Glas am Strande fand, weiß Be-
scheid. Rattenschwänze sind es, ungefähr 50 Stück. ‚Macht man
Rattenschwänze denn ein und konserviert sie?' fragt man mit ei-
nem binnenländischen Schauer. Nein; sondern weil mit den Rat-
tenschwänzen Geld zu verdienen war, fingen die Matrosen der
‚Bouckle' Ratten, hackten ihnen die Schwänze ab und taten die-
se in ein Glas. Denn der Kapitän, der Prämien für die Vernich-
tung der Ratten an Bord zahlte, wollte auch Beweise für die ver-
nichteten Ratten haben. Und das seien die Schwänze. Im Win-
tersturm 1939 sank die ‚Bouckle' mit allen noch an Bord befind-
lichen Ratten bei Madagaskar, das Glas mit den Rattenschwän-
zen aber ging auf die Reise und trudelte eines Tages nach drei
Jahren an den Strand von Juist.“
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