Travel Reference
In-Depth Information
Die Frucht des
Ölbaums - Sinnbild
einer Lebensweise
die Provence gebracht haben, und die Kul-
tur seiner Nutzung könnten die Gründer
Massalias 600 v. Chr. eingeführt haben. Zur
Römerzeit war das Olivenöl eine begehrte
Handelsware, ein Status, den es erst wie-
der im 18. Jahrhundert erreichte. Als Roh-
stoff der Textilindustrie, auch als Hauptbe-
standteil von Seife und anderer Schönheits-
mittel wurde es das Edelprodukt seiner Zeit
und fand endgültig Eingang in die proven-
zalische Küche. Doch andere Öle, andere
Seifen und schließlich die Reblaus setzten
ihm im 19. Jahrhundert arg zu, nach dem
Zweiten Weltkrieg zudem Landflucht und
mangelnde Rentabilität.
Dann kam jene Nacht vom 2. auf den 3.
Februar 1956, in der man die Olivenbäume
weinen hörte - und tags darauf die Bauern.
Als Folge eines extremen Temperaturstur-
zes um über 20 Grad innerhalb weniger
Stunden erfroren eine Million Ölbäume
(von damals elf Millionen in Frankreich).
Doch was den Tod der Olivenwirtschaft zu
besiegeln schien, leitete ihre Renaissance
ein. Die Bauern erkämpften sich Zuschüs-
se und modernisierten Anbau und Ver-
marktung. Heute ernten in 13 Départe-
ments etwa 37.000 Betriebe von 3,7 Millio-
nen Ölbäumen. Es ist dies zwar gerade ein-
mal ein halbes Prozent der weltweiten
Erzeugung, aber die französischen Öle sind
Qualitätsprodukte, die im Export hohe Prei-
se erzielen.
Dennoch wird sich kein Bauer aus wirt-
schaftlichen Gründen zum Olivenanbau
entschließen. Passion gehört dazu, wie
stets übrigens, wenn es in der Provence um
Ernährung geht. Das Traditionsbewusst-
sein findet sich auf die Spitze getrieben in
diesem Metier, wo im Wesentlichen gear-
beitet wird wie vor Jahrhunderten. Der im-
mergrüne, der göttliche Baum, der die
Landschaft des Midi prägt, ist ein zentrales
Symbol der Bibel wie des Korans, und mit
Henri Bosco glauben viele Bauern, von
ihren Bäumen geliebt zu werden.
Quiconque mange des olives
Chaque jour de chaque saison
Vient aussi vieux que les solives
De la plus solide maison
Knoblauch, Wein und vor allem Olivenöl -
dies sind die Lebenselixiere jener steinal-
ten, dabei kerngesunden Provenzalen. So
alt wie die Balken der solidesten Häuser
wird, verspricht der Vers, wer täglich die
Frucht des Ölbaums genießt.
Das Öl, das aus dieser Frucht gepresst
wird und der Küche des Midi ihre unver-
wechselbare Note gibt, ist ein wahres Wun-
dermittel. Ein „Adernfeger“, der vor Arte-
riosklerose bewahrt, dessen Kalziumgehalt
dem der Milch gleichkommt und der viele
wichtige Vitamine enthält. In der Provence
kursieren ungezählte Hausrezepte mit Oli-
venöl, gegen Rheuma, Arthritis und Hexen-
schuss. Auf die Haut aufgetragen, lindert es
Insektenstiche, im Gesicht beugt es Falten
vor, kurz, es pflegt den Körper vom Scheitel
bis zur Sohle. Eine Untersuchung über
Finnland und Kreta, Länder mit gleichem
Fettverbrauch, hat denn auch ergeben,
dass die Zahl der Herzinfarkte in Finnland
zehnmal höher liegt - dort werden tieri-
sche Fette verzehrt, auf Kreta hingegen
meist Olivenöl.
Der Legende nach war es ein Grieche,
Herkules, der in der Provence ein paar Öl-
bäume pflückte und sie in seine Heimat
trug. Tatsächlich dürfte der Weg umge-
kehrt verlaufen sein. Der Ölbaum ist schon
um 6000 vor Christus in Ägypten belegt
und um 1500 in Griechenland. Seefahrer
werden ihn ein paar Jahrhunderte später in
Search WWH ::




Custom Search