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Lavendel gegen die Landflucht
Lavendel ist, so schrieb Jean Giono, die
Seele der Haute-Provence. In der Tat: Über-
all, wo karge Hügel die fruchtbaren Ebenen
ablösen und das Dasein der Bauern ein ste-
tes Ringen mit der Natur ist, schafft der Lip-
penblütler prächtigen Ausgleich - land-
schaftlich und wirtschaftlich. Der echte
oder feine Lavendel wächst in 600 bis
1500 m Höhe und liefert ein außerordent-
lich aromatisches Öl, weit besser als das
des Aspik, seiner größeren Schwester. Ih-
rer beider Kreuzung, der Lavandin, gedeiht
in 300 bis 600 m Höhe. Gegenüber dem
feinen Lavendel ist er fünf- bis zehnmal er-
tragreicher, aber nicht ganz so aromatisch.
Lavendel, obgleich auch in Nordamerika
oder Australien vertreten, wird doch gera-
de in der Provence als Element der eigenen
Zivilisation empfunden. Wie Ölbaum und
Weinstock war er den Griechen schon be-
kannt. Das aus ihm gewonnene Öl diente
damals medizinischen Zwecken und in rö-
mischer Zeit zur Körperpflege. Lavare , la-
teinisch „waschen“, gilt als Ursprung des
Wortes.
Jene schier endlosen Anpflanzungen, die
heute etwa das Plateau von Valensole be-
decken, sind das Produkt zweier Trends
des ausklingenden 19. Jh. Viele Bauern aus
der Haute-Provence wanderten ab in die
Städte, auf ein leichteres Leben hoffend. Ih-
re Felder verödeten, und es siedelte sich
der anspruchslose Lavendel an. Gleichzei-
tig wuchs in den Städten selbst die Nach-
frage nach Parfum und Körperpflege. In
Grasse, nahe der Côte d'Azur, entstand ei-
ne regelrechte Industrie, die ihren wich-
tigsten Grundstoff, eben den Lavendel, in
der Haute-Provence einkaufte.
Den übrig gebliebenen Bauern, die den
kargen Hügeln oft nur abtrotzen konnten,
was zum Überleben reichte, muss die
plötzliche Nachfrage wie ein Geschenk des
Himmels erschienen sein. Zunächst waren
es die Frauen, die im Hochsommer in den
ersten Stunden des Tages mit großen Si-
cheln die wild wachsenden Pflanzen schnit-
ten. Die Ernte fiel in eine Periode, in der
kaum andere Arbeiten anstanden - und es
gab bares Geld dafür. Eine ganz neue Er-
fahrung der bisher in ärmlicher Autarkie
werkelnden Familien.
So entstanden Anfang der 1920er Jahre
erste große Anpflanzungen, und langsam
begann auch die Ablösung des echten La-
vendels durch den Lavandin. Von dieser
Hybridpflanze gibt es mehrere Züchtun-
gen, deren erfolgreichste einem gewissen
Herrn Grosso aus Goult im Luberon ge-
lang. Der hatte während des großen Laven-
delsterbens in den 1960er Jahren eine ein-
zige blühende Pflanze auf einem sonst to-
ten Feld entdeckt. Wegen ihrer Produkti-
vität und Widerstandskraft gegen Schäd-
linge ist diese „Grosso“ heute auf dem Pla-
teau von Valensole fast exklusiv vertreten.
Echter Lavendel, zu erkennen daran, dass
die Anpflanzung sehr viel weniger regel-
mäßig ist, wird heute nur noch auf wenigen
kleineren, meist schwer zugänglichen Berg-
stücken gezüchtet.
Fast völlig verdrängt ist auch die müh-
same Handernte. Als Anfang der 1950er
Jahre die ersten Maschinen einsatzbereit
waren, sollen italienische oder spanische
Saisonarbeiter sie mit Erde in den Tanks
lahmgelegt haben. Völlig zu Recht fürchte-
ten sie um ihren Broterwerb: Drei bis vier
Hektar schafft ein solches Gerät pro Tag,
das entspricht der Gesamtfläche vieler klei-
nerer Anbauer und ersetzt über 20 Arbei-
ter. Allerdings schädigen die Maschinen die
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