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Gegen den „mal-bouffe“ -
französische Revolution oder Folklore?
Mit großer Politik, mit Globalisierung gar
hatte der gute Mann noch nichts zu tun ge-
habt. Er arbeitete als Stellvertreter des Filial-
leiters für eine Supermarktkette in Cavaillon
im Herzen der Provence. Ein beschauliches
Dasein. Bis zu jenem Tag, an dem die Bau-
ern kamen. Das Geschäft stürmten. Und
ihn in Geiselhaft nahmen. An jenem Tag
lernte er, dass stellvertretender Filialleiter
ein hochpolitischer Job sein kann.
Damit es jeder sehen konnte, hängten
ihm die Angreifer ein Schild um: „Ich kid-
nappe das Einkommen der Bauern“. Dann
schleppten sie ihn hinaus aus der Stadt auf
die Obstplantagen und zwangen ihn, mit-
zumachen bei der Apfelernte.
Ein bizarrer Vorfall, der da gemeldet wur-
de aus dem Städtchen vor den Toren des
Luberon. Doch für Südfrankreich ist er
nicht einmal so ungewöhnlich. In den ver-
gangenen Jahren ist dort eine Bewegung
entstanden, die gegen die Globalisierung -
die mondialisation - kämpft, und zwar
durchaus militant. Das Bemerkenswerteste
aber ist, woran sich die Wut konkretisiert:
Es geht ums Essen. Die weltweite Wirt-
schaftsordnung verdirbt immer mehr Fran-
zosen den Appetit. Ihr Verdacht: Die tradi-
tionellen Künste der Bauern, die altherge-
brachten Produkte, die sorgfältigen Pro-
duktionsweisen werden verdrängt von
einer Art internationaler Lebensmittel-Ma-
fia, die nur einem Gesetz folgt: Immer ein-
heitlicher, immer billiger, immer schlechter.
Le mal-bouffe, den miesen Fraß nennt
das einer, der mittlerweile die Ikone dieser
Art Globalisierungskritik ist: José Bové.
Auch er ein Südfranzose, aber nicht aus der
Provence, sondern aus dem wilden Larzac,
einer Hochebene südlich der Cevennen.
Ein Intellektueller, der einst ausgezogen
war, Schafe zu züchten, und der sich gewal-
tig ärgerte, als die Amerikaner ihm mit
Schutzzöllen auf Roquefort-Käse das Ge-
schäft verdarben. In einer Art Vergeltungs-
Aktion verwüstete Bové mit Gesinnungsge-
nossen die Baustelle eines McDonald's-
Restaurants in Millau. Der anschließende
Prozess geriet zur Schauveranstaltung, Bo-
verließ den Gerichtssaal als Volksheld.
Und als er 2002 unmittelbar nach den
Wahlen eine mehrmonatige Haftstrafe an-
treten musste, steigerte Bové die Inszenie-
rung noch. Er fuhr mit dem Traktor los, so
würde er ganz sicher zu spät kommen,
denn es sind 160 km von seinem Hof zum
Gefängnis. 160 km, die ein Triumphzug
wurden durch jubelnde Dörfer und Städte.
Politiker distanzieren sich, wenn über-
haupt, halbherzig. Denn Bové genießt die
Sympathien vieler Franzosen. Mit der Ame-
rikanisierung der Vorstädte, mit der Ver-
breitung einer neuen Unkultur des Kon-
sums geht, so fürchten viele, die traditionel-
le Lebensart verloren. Die Globalisierung
bekommt ein Gesicht. Und zwar ein hässli-
ches. Der Protest, der auf den ersten Blick
wie Folklore wirkt, hat also durchaus eine
politische Dimension. Auch wenn der stell-
vertretende Filialleiter eines Supermarktes
in Cavaillon für die weltweite Wirtschaftsor-
dung doch eigentlich gar nichts kann.
2007 trat José Bové übrigens als Kandidat
für die französische Präsidentschaft an, ei-
ne Schlacht, die er erwartungsgemäß nicht
gewinnen konnte. Bové errang nur gut ein
Prozent - was aber immerhin fast 500.000
Stimmen entspricht.
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