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La Tauromachie
oder der Kampf
mit dem Stier
hänger sprechen immer gerne von einem
gleichberechtigten Kampf, bei dem der
Stier dieselbe Chance hat wie der Torero.
Doch wie kann man von Chancengleicheit
sprechen, wenn der Tod des Stieres von
vornherein eine beschlossene Sache ist?
Bevor der Kampf mit dem Torero beginnt,
verletzt ein berittener Picador den Stier mit
einem Lanzenstich zwischen die Schulter-
blätter, und drei Banderilleros versuchen, je
zwei Banderillas von vorn in den Nacken
des Tieres zu stoßen. Das hat einerseits
den Effekt, dass der Stier aufs Äußerste ge-
reizt ist, andererseits aber, dass er immer
schwächer wird und den Kopf tief genug
hält, damit ihn der Torero mit einem De-
genstich ins Herz töten kann. Einem guten
Torero gelingt dies mit einem Mal, oft ge-
nug jedoch zielen Anfänger daneben, so
dass der Stier lange leiden muss.
Wie dem auch sein, der spanische Stier-
kampf hat - was Nordlichter wohl nie so
recht verstehen können - eine relativ große
Anhängerschaft in Frankreichs Süden.
Meist finden die Corridas im Rahmen eines
größeren Volksfestes, der Feria, statt. Das
prächtige Farbenspiel hat jedenfalls seine
ästhetischen Reize.
Während der Zuschauer in der Arena
nur um die Stierkämpfer zittern muss, nicht
aber um sich selber, sollte er sich bei den
Abrivados umso besser vorsehen. Bei die-
sen folkloristischen Spektakeln, bei denen
Stiere durch die Straßen getrieben werden,
stehen Touristen gerne in der ersten Reihe,
damit man zu Hause spektakuläre Fotos
vorzuzeigen hat. Als es dabei auch in der
Provence (und nicht nur im fernen Spani-
en) zu Todesfällen kam - im Sommer 1994
in Les Stes-Maries und in St-Rémy - ent-
brannte eine heiße Diskussion um ein
eventuelles Verbot der Abrivados. Die gibt
es, wie man in allen Zeitungen lesen kann,
immer noch, dafür hat die EU ein neues
Warnschild ersonnen: ein schwarzer Stier-
kopf auf weißem Grund, so typisch mit
dem roten Dreieck umgeben. Und damit
auch wirklich jedes unerfahrene Nordlicht
versteht, was gemeint ist, steht dort zusätz-
lich zu lesen: „Manifestation Taurine“, also:
„Vorsicht! Stierische Veranstaltung!“
Von April bis September ist Stierkampfsai-
son in der Provence. Diese Tradition der
„Tauromachie“ macht an den Grenzen der
Départements Gard und Bouches-du-Rhô-
ne abrupt halt. Leute aus dem Vaucluse
oder den Alpes-de-Haute-Provence stehen
dem Phänomen zuweilen ebenso skeptisch
gegenüber wie Reisende aus dem Norden.
Viele wissen jedoch nicht, dass Stier-
kampf nicht gleich Stierkampf ist. In der
Provence existieren zwei sehr unterschied-
liche Formen nebeneinander.
Die Course à la Cocarde, auch Course
Provençale, Course Libre und Course Ca-
marguaise genannt, entstand bereits um
die Jahrhundertwende, konnte sich aber
erst 1975 als „Sport Français“ durchsetzen.
Mit der umstrittenen spanischen Corrida
hat sie sehr wenig zu tun, ist vielmehr ein
Spiel, das nie mit dem Tod des Stieres en-
det. Der Unterschied steht schon auf den
Werbeplakaten geschrieben: Bei der Corri-
da Ankündigung der Toreros, bei der Cour-
se die der Stiere. Stolze Namen wie Duc,
Ventadour, Goya oder Ringo zeigen deut-
lich die Hochachtung vor dem Stier, dem
Cocardier, und die untergeordnete Bedeu-
tung der sogenannten Razeteurs.
Ziel des Spiels ist es, dem Stier Kokarde,
Quasten (glands) und Schnüre (ficelles),
aufgehängt zwischen seinen leierförmigen
Hörnern, zu entreißen. Die ganz in Weiß
gekleideten Razeteurs haben als einziges
Hilfsmittel einen Haken, den Razet, und ge-
hen in den 15 Minuten des Spiels ein gro-
ßes Risiko ein. Oftmals rettet nur ein Hecht-
sprung über die Holzbarriere. Anreiz sind
natürlich nicht nur Sport und Ansehen, son-
dern die öffentlichen oder privaten Geld-
preise, die auf jedes einzelne der Abzei-
chen ausgesetzt sind und im Laufe des
Kampfes erhöht werden können.
Der spanische Stierkampf dagegen, die
Corrida, endet immer mit dem Tod des
Taureaus, mit der mise à mort . Corrida-An-
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