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Doch scheut man sich im Grunde,
Villeneuve eine Stadt zu nennen. Es ist
viel zu sehr großes Dorf geblieben,
beschaulich, ja fast still. Beim Über-
queren der Rhône überschreitet man
nicht nur die Grenze der Avignoneser
Weltoffenheit zur Ländlichkeit Ville-
neuves, sondern auch die zweier
Départements. Villeneuve liegt schon
im Gard, gehört also streng genom-
men gar nicht mehr zur Provence.
Das erscheint wie eine Fortführung
der historischen Grenze: Im Mittelal-
ter trennte die Rhône das französische
Kronland auf der Seite Villeneuves von
der Provence unter der nominellen
Herrschaft des Deutschen Reiches.
Kein Wunder, dass die französischen
Könige diesen Brückenkopf in eine ei-
serne Festung verwandelten. Blickten
die Päpste im 14. Jh. hinüber zur Neu-
stadt, dann wurde ihnen sehr deutlich,
dass sie ihre Machtgelüste gefälligst in
eine andere Richtung zu lenken hatten.
Heute liegen sich die wehrhaften Sil-
houetten Avignons und Villeneuves in-
des friedlich gegenüber, inspirieren al-
lenfalls Künstler während des Theater-
festivals zu Höchstleistungen. Denn
selbstverständlich lässt Avignon seine
hübsche Vorstadt am Festival teilha-
ben; genau wie in Avignon werden
seine Denkmäler im Juli zur Bühne
moderner Kunst. Während Avignon
mit einer Theaterhochschule aufwar-
tet, bietet Villeneuve in der Chartreuse
eine Oase für die schreibende Zunft.
Was immer nun Villeneuve mit der
großen Schwester gemeinsam hat,
oder was sie unterscheidet, eins ist si-
cher: den fantastischen Blick über die
Rhône auf Avignon - hat allein Ville-
neuve.
Geschichte
Der felsige Mont Andaon war bis ins
18. Jh. eine Insel; auf der einen Seite
umspülte sie ein nun trockener Fluss-
arm, auf der anderen strömt seit eh
und je die Rhône selbst. Schon Men-
schen der Vorgeschichte siedelten
hier, später nahmen die Römer den
Berg ein. Auch weiß man, dass im
6. Jh. n. Chr. die heilige Casaria hier als
Einsiedlerin lebte. Bei ihrem Grab
gründeten bald Benediktiner das Klos-
ter St-André. Ab dem 7. Jh. siedelten
drumherum die Lehnsleute des Klos-
ters. Und um 1000 hatte es sich zur
wichtigsten Niederlassung des Ordens
im ganzen Rhônetal entwickelt.
Nach den Katharerkriegen (1229)
fiel das spätere Villeneuve an Frank-
reich. Der Fluss war nun die Grenze
zum Deutschen Reich. Jedoch verlief
sie nicht mitten durch das Gewässer,
sondern entlang des Ufers von Avi-
gnon. Dieser Umstand animierte den
französischen Fiskus später zu einer
kuriosen Steuerpraxis: Bei Hochwasser
ruderten die Beamten des Königs flugs
nach Avignon hinüber, um Gelder ein-
zutreiben; gehörte die Rhône doch zu
Frankreich - und damit alles, was sie
überschwemmte. Auf diese Weise är-
gerten die Inspektoren die Avignone-
ser gar bis zur Revolution von 1789.
Die französischen Könige des 13. Jh.,
Louis VIII. und Philipp der Schöne, för-
derten St-André und bauten es als Vor-
posten ihres Reiches aus. Philipp ließ
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