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„Die Juden
des Papstes“
Während ihnen im Mittelalter noch die
Ausübung einer ganzen Reihe von Berufen
erlaubt war, darunter sogar Mediziner und
Chirurg, kamen ausgerechnet in der Re-
naissance neue Verbote hinzu: Seither gab
es keine jüdischen Ärzte und Apotheker
mehr im Comtat. Die „Juden des Papstes“
hatten also stets unter Restriktionen zu lei-
den; für das 15. Jh. sind sogar massive anti-
semitische Ausschreitungen bezeugt.
Dagegen begann Frankreich gegen Ende
des 18. Jh., Juden, vor allem Händler, zu to-
lerieren, die sich auf seinem Gebiet nieder-
ließen. Und ab der Revolution bekamen sie
auch endlich politische Rechte. Die Juden
des Midi waren die Ersten, die davon profi-
tierten: Ein Dekret der verfassungsgeben-
den Nationalversammlung (Assemblée cons-
tituante) vom 28. Januar 1790 erkannte
Juden portugiesischer, spanischer und avi-
gnonaiser Herkunft als französische Staats-
bürger an. Die carrières des Comtats, abge-
schottet wie eh und je, öffneten sich erst
1791, als die Grafschaft an Frankreich fiel.
Zu dieser Zeit vereinte die Judengasse von
Carpentras auf 88 Metern Länge 168 Häu-
ser von bis zu acht Etagen. Um die 900
Menschen lebten hier.
Die Leidensgeschichte der Juden des Mi-
di gipfelte im Zweiten Weltkrieg, als das
Vichy-Régime tausende von Männern,
Frauen und Kindern an die deutsche Besat-
zungsmacht auslieferte (siehe auch Aix-Les
Milles).
Heute leben wieder einige - wenige -
Juden in Carpentras, vor allem sogenannte
Pieds noirs aus den ehemaligen Kolonien.
Als 1990 Unbekannte den jüdischen Fried-
hof der Stadt schändeten, stand Carpentras
plötzlich im Zentrum einer landesweiten
Diskussion um Rassismus und neuen Anti-
semitismus.
Im 14. Jh. flüchteten viele Juden ins Comtat
Venaissin. Seit Philippe le Bel ihnen das
Recht abgesprochen hatte, auf französi-
schem Boden zu leben, suchten sie nach
einer neuen Bleibe und vor allem nach
Schutz. Den boten ausgerechnet die Päps-
te von Avignon, die den Juden nicht nur
Unterschlupf gewährten, sondern auch die
Garantie der freien Ausübung ihrer Reli-
gion. Verglichen mit den Verfolgungen,
welche die Juden anderswo erfuhren, war
das großzügig, dennoch blieb ihr Leben
auch im Comtat streng gemaßregelt.
Zunächst einmal waren sie ausgegrenzt
in Ghettos: Diese sogenannten Carrières
(von prov. carriera = Straße) bestanden aus
einer einzigen Straße, die nachts herme-
tisch von außen abgeriegelt wurde. Wegen
des fehlenden Platzes mussten die Juden
stets in die Höhe bauen, sodass die carriè-
res überbevölkert und sehr ungesund wa-
ren. Im Mittelpunkt lag die Synagoge, die
man mit dem Namen „Schule“ tarnte; und
tatsächlich war sie Schule, Kult- und Ver-
sammlungsraum unter einem Dach.
Schließlich hatten die Juden immer eine ei-
gene Bäckerei für koscheres Brot und ein ri-
tuelles Bad (mikvé).
Selbst diese abgeschotteten Carrières
gab es nur begrenzt, und zwar in den In-
nenstädten von Cavaillon, Carpentras,
Avignon und L'Isle-sur-la-Sorgue.
Doch mit dieser Ausgrenzung war es
längst nicht getan: Noch im 16. Jh. mussten
die männlichen Juden eine gelbe Kopfbe-
deckung, die Frauen eine gelbe Kokarde
tragen. Erst im 18. Jh. erlaubte ein Gesetz,
dass die Juden wenigstens auf Reisen ihren
traditionellen schwarzen Hut aufsetzen
durften.
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