Travel Reference
In-Depth Information
fälscht, jeden Ort beschrieben, die
Nachbarn namentlich vorgestellt bis
hin zum Haustier. So fielen sie dann
ein in Ménèrbes, die Engländer vorne-
weg, inspizierten die toilette à la tur-
que im Dorfcafé, bedrohten den guten
Faustin auf seinem Traktor mit klobi-
gen Teleobjektiven, bis sie zuletzt dem
Autor selbst zu Leibe rückten.
„Sur les traces de Peter Mayle“, auf
seinen Spuren reisen, das wurde der
touristische Megarenner im stillen Lu-
beron. Die Wahl-Luberonesen, eine
diskrete Gesellschaft aus Künstlern, In-
tellektuellen und Politikern, sahen die
Katastrophe eingetreten. Vor allem
den schon ansässigen Engländern
graute es vor der Invasion hellhäutiger
und kulinarisch rückständiger Lands-
leute. Sie hätten das Buch, dem als-
bald ein zweites folgte, am liebsten
verboten oder verbrannt gesehen.
Die echten Provenzalen taten das
einzig Richtige, etwa Folgendes: Der
Wirt des Café du Progrès, der den Au-
tor wegen seiner despektierlichen Be-
schreibung der Örtlichkeiten zur Un-
person verwünschte, präsentierte
gleichwohl das Buch ganz vorn im
Schaufenster. So verdiente er nicht
schlecht, und was er von der ganzen
Sache hielt, das konnte er immer noch
englischen, japanischen oder sonsti-
gen Fernsehteams anvertrauen.
Kein Provenzale, und lebt er auch
nur nebenbei vom Tourismus, der
nicht das Seine gelernt hätte aus dem
„Phänomen Peter Mayle“. Merke:
Nichts entzückt den Urlauber mehr als
Authentizität. Das ist nun wirklich ein
wichtiges, ein zentrales Wort. Alles
kann, alles muss authentisch sein, vrai,
véritable, typique, original, traditionel, à
l'ancienne - kurz: authentique.
Der provenzalische Tourismus darf
so bleiben, was er eigentlich immer
war. Die Provence verkauft nicht Son-
ne, nicht Berge, nicht Meer, nicht Mu-
seen, nicht Monumente, sie verkauft
eine Lebensart. Man ist hier nicht ei-
gentlich Tourist, sondern Privilegierter,
eingeladen, für einige Tage oder Wo-
chen das Vergnügen der Einheimi-
schen zu teilen. Ein solcher Tourismus
ist individuell - Urlaubersiedlungen im
großen Stil gibt es kaum - und natür-
lich auch hochpreisig. Wer davon aus-
geht, dass Massentourismus gewach-
sene Traditionen bedroht, kann sich
darüber nur freuen. Denn gerade die
gewachsenen Traditionen sind es ja,
an die der Provence-Reisende assimi-
liert zu werden wünscht.
Diese Erwartung ist so alt wie der
Provence-Tourismus selbst. Reisende
aus dem Norden haben seit jeher ein
Erweckungs-Erlebnis in Sachen Le-
bensqualität. In den 1930er Jahren, als
in Frankreich unter der Volksfront-Re-
gierung erstmals ein Tourismus größe-
ren Ausmaßes einsetzte, als auch über-
all Jugendherbergen entstanden, da
war die Provence à la mode vor allem
bei den Jungen, die wenig Geld hat-
ten, aber viele Träume. Manches da-
von trug Züge einer Stadtflucht, und
nicht umsonst fand Jean Giono begeis-
terte Zuhörer, wenn er von den wah-
ren Reichtümern sprach, den Reichtü-
mern seiner Provence.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kris-
tallisierte sich dann eine weitere Ei-
Search WWH ::




Custom Search