Biology Reference
In-Depth Information
mos projiziert, und Descartes projizierte es nun auf die Tierwelt. Auch Tiere funktionier-
ten demnach wie Uhrwerke. [52] Der Herzschlag eines Hundes, seine Verdauung und At-
mung waren programmierte Mechanismen. Die gleichen Prinzipien galten schließlich
auch für den Körper des Menschen.
Descartes nahm Vivisektionen an Hunden vor, um ihr Herz zu studieren, und er
berichtete von seinen Beobachtungen, als könnte der Leser geneigt sein, die Experi-
mente nachzumachen. »Wenn man bei einem lebenden Hund das verjüngte Ende des
Herzens abschneidet und einen Finger in eine der Kammern einführt, spürt man ganz
deutlich, wie das Herz immer dann, wenn es sich verkürzt, auf den Finger drückt und wie
der Druck nachlässt, wenn es in die Länge geht.« [53]
Er untermauerte seine Beweisführung mit einem Gedankenexperiment. Man stelle
sich, sagte er, von Menschen gemachte Automaten vor, welche die Bewegungen von Tier-
en nachahmen können. Mit genügend Kunstfertigkeit würde man diese Automaten so
konstruieren können, dass sie nicht mehr von echten Tieren zu unterscheiden sind:
Wenn solche Maschinen die Organe und äußere Gestalt eines Affen oder irgendeines
anderen vernunftlosen Tiers besäßen, würde für uns nicht zu erkennen sein, dass sie
nicht ebendieselbe Natur besitzen wie diese Tiere. [54]
Mit solchen Argumenten schuf Descartes die Grundlagen der mechanistischen Biologie
und Medizin, die bis heute Schulmeinung sind. Allerdings leuchtete die Maschinentheor-
ie des Lebens den Menschen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts längst nicht
so leicht ein wie die Maschinentheorie des Universums. Vor allem in England wurde die
Vorstellung von Tier-Maschinen eher als schrullig angesehen. [55] Descartes' Lehre schi-
en Gewalt gegen Tiere, sogar Vivisektion zu rechtfertigen; es hieß, man könne seine An-
hänger daran erkennen, dass sie ihre Hunde mit Fußtritten bedachten. [56]
Der Philosoph Daniel Dennett fasst zusammen: »Descartes … vertrat die Auffassung,
Tiere seien in Wirklichkeit einfach sehr kunstvoll gearbeitete Maschinen … Einzig der
nichtmechanische und nichtstoffliche Geist machte aus seiner Sicht den Menschen (und
nur den Menschen) intelligent und bewusst. Das war eigentlich eine sehr subtile Sicht
der Dinge, der heutige Zoologen ohne Weiteres in großen Teilen zustimmen würden,
aber für Descartes' Zeitgenossen war sie zu revolutionär.« [57]
Für uns ist die Maschinentheorie des Lebens heute etwas so Normales, dass wir kaum
erfassen können, wie radikal Descartes mit der Tradition brach. Die Theorien seiner Zeit
setzten als selbstverständlich voraus, dass Organismen lebendig sind, Lebewesen mit
einer eigenen Seele. Die Seele war die Bestimmung eines lebendigen Organismus und
stattete ihn mit Kräften der Selbstorganisation aus. Vom Mittelalter bis ins siebzehnte
Search WWH ::




Custom Search