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Ist die Natur mechanisch?
Nicht-Naturwissenschaftler können sich oft nur über die Versicherung vieler Naturwis-
senschaftler wundern, Tiere und Pflanzen seien Maschinen und auch Menschen eigent-
lich Roboter, von computerähnlichen Gehirnen mit genetisch programmierter Software
gesteuert. Irgendwie scheint die Annahme näherzuliegen, dass wir lebende Organismen
sind und die Pflanzen und Tiere auch. Organismen regulieren sich selbst. Sie finden
selbst ihre Form, sie erhalten sich selbst, sie haben ihre eigenen Bestrebungen und Ziele.
Maschinen werden dagegen von einem externen Bewusstsein erdacht, ein Maschinen-
bauer setzt ihre Teile zusammen, sie haben keine eigenen Absichten und Ziele.
Die moderne Naturwissenschaft begann mit der Ablehnung dieser älteren organischen
Sicht des Universums. Von da an stand die Maschinenmetapher im Zentrum des natur-
wissenschaftlichen Denkens, und das hatte weitreichende Folgen. Einerseits hatte es et-
was ungemein Befreiendes. Ein ganz neues Denken wurde möglich, das zur Erfindung
von Maschinen anregte und die Entwicklung der Technik in Gang setzte. In diesem Kap-
itel möchte ich die Geschichte dieses Denkens nachzeichnen und aufzeigen, was passiert,
wenn wir es in Frage stellen.
Vor dem siebzehnten Jahrhundert verstand es sich für die allermeisten Menschen von
selbst, dass die Erde wie auch das gesamte Universum so etwas wie ein Organismus
ist. Im europäischen Mittelalter und der Renaissance war die Natur etwas Lebendiges.
Es wurde auch in klaren Worten ausgesprochen, zum Beispiel von Leonardo da Vinci
(1452-1519): »Wir können sagen, die Erde habe eine vegetative Seele, das Land sei
ihr Fleisch, das Gestein ihre Knochen … Ebbe und Flut der Meere sind ihr Atem und
Puls.« [45] Auch William Gilbert (1540-1603), ein wegbereitender Forscher auf dem Ge-
biet des Magnetismus, vertrat eine organische Naturphilosophie: »Wir erachten das ges-
amte Universum als belebt und alle Sphären, alle Sterne, ja auch die edle Erde als von
Urbeginn an von der ihnen bestimmten Seele geleitet und mit dem Antrieb der Selbster-
haltung ausgestattet.« [46]
Nikolaus Kopernikus, der in seiner 1543 veröffentlichten revolutionären Theorie der
Himmelsbewegungen die Sonne anstelle der Erde ins Zentrum rückte, war ebenfalls kein
Mechanist. Seine Gründe für diese Änderung waren ebenso mystischer wie wissenschaft-
licher Natur. Er fand, die zentrale Stellung sei der Sonne würdig:
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