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Im politischen Leben sind Debatten begrenzt, vor allem deshalb, weil schließlich
abgestimmt wird und eine Seite gewinnt, während die andere verliert. Ähnlich vor
Gericht: Beide Seiten bringen ihre Argumente vor, aber in der Regel kommt es schließ-
lich zu einer richterlichen Entscheidung für die eine und gegen die andere Seite. Das ist
überall da ein gutes und richtiges Verfahren, wo Schiedssprüche notwendig und wün-
schenswert sind. Wenn jemand eines Verbrechens bezichtigt wird, muss das Gericht auf
schuldig oder nicht schuldig im Sinne der Anklage erkennen und eine Strafe verhängen
oder den Freispruch verkünden. Ein Parlament muss über Gesetzesvorlagen beschließen.
Am Ende des Prozesses muss ein klares Gesetz stehen, sonst schafft man einen Sumpf
rechtlicher Unsicherheiten. Man fährt entweder auf der rechten Straßenseite (wie in den
Vereinigten Staaten, Frankreich oder Argentinien) oder auf der linken (wie in Großbrit-
annien, Indien oder Japan). Es sprechen keine sachlichen Gründe für das eine oder das
andere, aber wichtig ist die klare Entscheidung für eine der beiden Möglichkeiten.
Manche Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Arbeit
notwendig sind, haben ebenfalls solche praktischen Notwendigkeiten als Hintergrund:
welche Forschungsfelder besonders gefördert werden sollen, wer den Zuschuss bekom-
mt oder ob eine wissenschaftliche Arbeit von einer Fachzeitschrift nach dem Peer-Review
zur Veröffentlichung angenommen wird oder nicht. Die Entscheidungsprozesse finden
meist nicht öffentlich statt, sind aber häufig mit Diskussionen in den zuständigen Gremi-
en verbunden.
Das alles sind Fälle, bei denen man irgendwie zu einem praktischen Beschluss kom-
men muss, aber in der eigentlichen wissenschaftlichen Forschung ist mit Beschlüssen
nicht viel auszurichten, denn hier geht es ja um Dinge, die noch nicht bekannt oder noch
ungewiss sind. Die Physiker sind nicht einer Meinung darüber, ob eine bestimmte zehndi-
mensionale String-Theorie richtig ist und die übrigen oder auch die elfdimensionalen M-
Theorien falsch sind. Hier existieren etliche Theorien nebeneinander, und alle haben ihre
Fürsprecher. Wo gerade geforscht wird und noch Unsicherheit herrscht, ist nicht die
kontroverse Diskussion der beste Ansatz, sondern das Gespräch. Im Gespräch tauscht
man Ideen und Meinungen aus und sondiert den Gegenstand gemeinsam. Es geht nicht
darum, dass eine Seite obsiegt. Natürlich finden in allen Bereichen des Lebens ebenso
wie unter Wissenschaftlern ständig Dialog und Gespräch statt, aber wenn der öffentliche
Dialog im Wissenschaftsbetrieb zur Regel würde, könnte das einer Kultur der Offenheit
entscheidende Anstöße geben, mehr noch als die interne Debatte.
Am fruchtbarsten sind nach meiner Erfahrung Gespräche mit zwei oder drei
Beteiligten. [612] Podiumsdiskussionen mit fünf bis zehn Teilnehmern, wie sie bei wis-
senschaftlichen Kongressen üblich sind, erreichen dagegen selten etwas. Bis alle ihre
Eröffnungsworte gesprochen haben, ist die angesetzte Diskussionszeit meist schon fast
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