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gesellschaftliche oder politische Missstände ging, führten bei ihren Attacken gegen
die Macht des Klerus die Wissenschaften als säkularisierende Kraft ins Feld. [607]
Die Wissenschaftler behaupteten von sich, sie betrachteten die Welt als objektive Beo-
bachter und brächten deshalb die absolute Wahrheit ans Licht. [608] In diesem Schwarz-
weißbild des Szientismus ist Wissenschaft etwas von allem anderen Tun des Menschen
grundsätzlich Verschiedenes. Allein die Wissenschaft vermag unanfechtbare Fakten zu
konstatieren. [609] In diesem Idealbild erscheint der Wissenschaftler als einer, der von der
Fehlbarkeit aller übrigen Menschen nicht berührt wird. Er hat unmittelbaren Zugang
zur Wahrheit. Er ist objektiv wie sonst niemand. Der Mythos der körperlosen Erkenntnis
und das Höhlengleichnis verstärken dieses Bild noch, und das hohe Ansehen der wis-
senschaftlichen Priesterschaft gibt dem Ganzen das Siegel der Autorität.
Am deutlichsten zeigt sich diese autoritäre Mentalität in der Auseinandersetzung
mit paranormalen Phänomenen und der alternativen Medizin (siehe Kapitel 9 und 10).
Sie werden von vornherein als Ketzerei, das heißt als unwissenschaftlich, abqualifiziert
und auf keinen Fall als legitime Gegenstände rationaler Forschung angesehen. Selb-
sternannte Inquisitoren wie zum Beispiel das Committee for Skeptikal Inquiry geben
sich alle Mühe, seriöse Medien von der Beschäftigung mit solchen Themen abzuhalten
oder zu verhindern, dass Forschungsmittel für sie bereitgestellt werden oder gar die
Universitäten sie in ihre Lehrprogramme aufnehmen. Dass nur eine mechanistische Med-
izin wirksam sein kann, ist ein Glaube mit weitreichenden politischen Konsequenzen.
Es gibt viele naturheilkundliche Formen der Medizin, darunter Osteopathie, Akupunktur
und Homöopathie, aber nur die mechanistische Medizin gilt als »wissenschaftlich« und
genießt ein staatlich gefördertes Monopol auf Macht, wissenschaftliche Autorität und öf-
fentliche Finanzierung.
Wissenschaft ruhte bisher immer auf einem Ideal der objektiven Wahrheit, dem
zufolge immer nur eine Theorie recht haben kann. Deshalb hört man von Naturwis-
senschaftlern Ausdrücke wie »den letzten Nagel in den Sarg des Vitalismus schlagen«
(siehe Einleitung) oder »den letzten Nagel in den Sarg der Steady-State-Theorie schla-
gen« (siehe Kapitel 2), immer in hämischer Vorfreude auf den Untergang abweichender
Ansichten. Die scheinheilige Arroganz der Naturwissenschaft verdankt sich zu einem er-
heblichen Teil dieser Aura der absoluten Wahrheit, die als Überrest der absoluten reli-
giösen und politischen Macht in der Geburtszeit der mechanistischen Wissenschaft zu
sehen ist. Sicher, es gibt Meinungsverschiedenheiten unter den Wissenschaftlern, und
die Wissenschaften selbst verändern und entwickeln sich ständig; doch über alle Verän-
derungen hinweg bleibt der Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit bestehen.
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