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Wissenschaft und Autorität
Uneinigkeit und Disput in der Wissenschaft werden als gefährlich und die Autorität un-
tergrabend erlebt. Das bedeutet, dass man Meinungsverschiedenheiten besser irgend-
wo im Hintergrund austrägt. Wissenschaftler räumen nicht gern öffentlich ein, dass sie
nicht immer ganz so objektiv sind, wie sie sich gern darstellen. Selbst in Thomas Kuhns
Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen als Paradigmenwechsel blieb das Image der
etablierten Autorität unangetastet. Im Zuge einer wissenschaftlichen Revolution wird ein
alter Konsens durch einen neuen ersetzt. Ideen, die einst revolutionär waren, werden
neue Schulmeinung, in der Geologie beispielsweise die Kontinentaldrift, in der Physik die
Quantentheorie. Diese Revolutionen sind von anderer Art als eine politische Revolution,
die ein autokratisches System aushebelt und Demokratie an seine Stelle setzt. Sie haben
eher etwas von Revolutionen, in denen eine alte Diktatur durch eine neue ersetzt wird.
In so gut wie allen anderen Sphären menschlichen Lebens gibt es nicht nur einen, son-
dern viele Standpunkte und Blickwinkel - viele Sprachen, viele Kulturen und National-
itäten, viele Philosophien, Religionen, Sekten, politische Parteien, Geschäftszweige und
Lebensformen. Nur in den Wissenschaften finden wir heute noch den monopolistischen
Anspruch auf Universalität und absolute Autorität, den einst die katholische Kirche er-
hob. Katholisch bedeutet »alle betreffend« oder »allgemein«. Mit der 1517 einsetzenden
Reformation büßte die katholische Kirche ihr Monopol ein, und inzwischen behaupten
sich viele andere Kirchen und Ideologien neben ihr, darunter auch der Atheismus. Aber
nach wie vor gibt es eine universale Wissenschaft.
Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, einer Zeit der ganz Europa spaltenden
Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, glänzten Wissenschaft und Vernunft
als ein Weg zur Wahrheit, der über all das sektiererische Gezänk erhaben war. Aus
dieser Haltung des Respekts gegenüber der Wissenschaft und der menschlichen Vernun-
ft, verbunden mit einer gewissen Geringschätzung der Religionen und ihrer »Rechtgläu-
bigkeit«, ging die Aufklärung hervor. Wie John Brooke in seinem Buch Science and Reli-
gion schreibt:
Wissenschaft war nicht nur wegen ihrer Erfolge hochgeachtet, sondern als Denk-
weise. Sie eröffnete die Möglichkeit der Aufklärung durch die Korrektur früherer Ir-
rtümer, vor allem aber durch ihr Vermögen, sich gegen Aberglauben durchzusetzen
… Wo jedoch Wissenschaft gegen Religion ausgespielt wurde, ging es oft nicht in er-
ster Linie um die Schaffung intellektueller Freiheit zum Studium der Natur. Weniger
die Naturphilosophen [Wissenschaftler] selbst, sondern meist Denker, denen es um
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